Sanssouci: Vorschlag
■ Improvisationen über die Musik tuvinischer Nomaden beim Total Music Meeting 1994 im Podewil
Wie immer zeitgleich zum Jazz-Fest findet in dieser Woche das 27. Total Music Meeting statt. Es beginnt morgen mit Peter Brötzmanns Tribut an Albert Ayler. Diese beiden Saxophonisten verbindet die innovative Variation der Grundmelodie, die Liebe zur Hymne und die Freude an der Wildheit des frühen archaisch-burlesken Jazz. Und ähnlich wie Don Ayler mit seiner Trompete die Linien seines Bruders antizipierte und in sie einstimmte, so umspielt und dupliziert Toshinori Kondo das Sax Brötzmanns. Mit vorwiegend heterophonem Klang der Hörner und dem voluminösen pulse des Rhythmusgespanns Hamid Drake und William Parker im Rücken wird Brötzmann eins seiner einfallsreichsten Quartetts präsentieren.
Weniger dem Free Jazz als vielmehr der improvisierenden Performance verpflichtet ist der Auftritt der September Band am Donnerstag abend. Den Mittelpunkt bildet die Vokalartistin und -akrobatin Shelley Hirsch mit ihrem Stimmrepertoire, das spielend sämtliche Personen eines Theaterstücks verkörpert, eines absurden zumeist, denn oft ist die Sprache unbekannt und der Ton verschroben. Über Hirschs komödiantische Qualitäten hinaus weist die mit der Stimme vorgenommene Erforschung der Sounds ihrer Mitmusiker, besonders wenn sie so sensibel und phantasiereich sind wie Rüdiger Carl (Akkord./Klar.) und Paul Lovens (Perk.) oder Hans Reichel, der zudem durch seine selbstgefertigten, mit dem Bogen gestrichenen Holzplättchen ein ganzes Universum neuer Klänge erzeugt.
Neu auf dem Total Music Meeting ist der Obertongesang von der sibirisch-mongolischen Grenze. Sainkho Namtchylak und das Trio Biosintes treten am Freitag abend auf und werden bei uns bisher nie Gehörtes tun. Sie unterziehen die Musik der tuvinischen Nomaden den Methoden der zeitgenössischen europäischen Improvisation. Die Tradition des Obertongesangs wird Namtchylak, die von sich sagt, daß sie eine in freier Musik arbeitende Volkssängerin sei, vor allzuviel Abstraktheit bewahren. Zwei Sets jeden Abend bieten den Bands genug Raum, um verschiedene Facetten ihres Könnens darzubringen. Dazwischen wird jeweils ein Gitarrensolist die Kunst der singulären Improvisation demonstrieren. Peter Thomé
Morgen bis 20.11., jeweils 21 Uhr im Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte, Tageskarte 20 Mark, Festivalkarte 50 Mark.
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