Sanssouci: Vorschlag
■ Kranken fröhlich am Sinnverlust: Die Comics in Renate 7
Und dann kam der Tag, als der kleine Dino begann, an seine Zukunft zu denken Abbildung: Renate 7
Das Verhältnis zwischen Bildern und Sprache im Comic ist recht kompliziert. Auch im siebten Heft der Ostberliner Comiczeitung Renate versuchen die Autoren, einer unübersichtlichen Welt seltsam typisierte Geschichten seltsam typisierter Helden abzutrotzen. „Heroin“ etwa erzählt die traurige Geschichte zweier Schulfreunde aus dem Playmo-Kasten. Der eine ist erfolgreich, schnell hatte er „alle Voraussetzungen, um glücklich zu sein: eine kleine Familie, ein Haus, ein Auto.“ Und doch: „Was er erreicht hatte, konnte ihn eines Tages nicht mehr befriedigen.“ „Innere Konflikte“ brachten ihn zum Heroin; das Heroin brachte ihn um, als er sich, „wie jeden Freitag am Bahnhof“, einen Schuß setzen wollte. „Mein Freund ist tot. Sein Mörder hieß Heroin. Mir war kalt, und ich fühlte, wie sich eine unendliche Leere in mir ausbreitete.“ Und das Tolle nun ist, daß der Comic diese Leere zumindest kurzzeitig ausfüllt.
Mein Lieblingscomic im letzten Renate-Heft erzählt in sechzehn Bildern von „Freds Geburtstag“. Fred, der so hingehuscht aussieht, wie er vermutlich auch ist, wird geweckt von einem Stein, der in sein Fenster fliegt. Das ist seine „älteste Tochter, die den ehrbaren Beruf der Lehrerin aufgegeben hatte, um sich nun als Kugelstoßerin einen Namen zu machen. Sie gratulierte ihm herzlich zum Geburtstag.“ Eine schöne nackte Nachbarin kommt vorbei und legt sich zu Fred in sein Bett, und auch Freds Kumpel von der Tankstelle will es sich nicht nehmen lassen, ihm 60 Liter Benzin zu schenken. Zwischen Benzin und nackter Frau steht der arme Fred; draußen wirft lächelnd die jüngste Tochter einen Feuerwerkskörper ins Zimmer. Zum Glück erwacht der Jubilar dann aus seinem Traum.
Sprache und Bilder haben fast nur noch performativen Charakter und kranken fröhlich am Sinnverlust, könnte man sagen, oder mit Freud von der „Selbstrekonstruktion der Identität nach deren Verlust“ sprechen, oder einfach nur den Satz eines kleinen Dinosauriers genießen: „Jetzt noch mit Schreckschraube was essen & dann in Ruhe aussterben.“ Detlef Kuhlbrodt
Für 4 Mark erhältlich bei Zyankrise, Christburger Straße 20
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