Sanssouci: Vorschlag
■ Brillanter Narzißmus mit Rasierklingen unter den Sohlen: „Tango Pasión“ gastiert im Metropol-Theater
Vor der Kulisse einer verräucherten Bar formieren sich sechs Paare zum Tanz. Die Damen tragen hochgeschlitzte, matt glänzende Roben wie knistriges Bonbonpapier, die Herren in ihren schlichten Anzügen lassen ihnen in optischer Hinsicht den Vortritt. Mit gespreizten Bewegungen beginnen die Tangotänzer ihr kunstvolles Spektakel wie animierte Schaufensterpuppen. Geigen schluchzen, Bandoneons quäken, schmeichelnder Gesang beschwört wehmütige Gefühle. „Tango Pasión“, das Tango- Tanz-Musical, das seit 1992 auf Welttournee ist, will nichts Geringeres als die Seele dieses Tanzes zeigen, der vor über 100 Jahren in den Bars von Buenos Aires entstanden ist: Leidenschaft, Liebesschmerz, Eifersucht und existenzielle Ängste.
Im ersten Teil des von Mel Howard produzierten Musicals vermag der Funke noch nicht so recht überzuspringen. Während das auf ein Oktett erweiterte Altherrenorchester „Sexteto
Mayor“ musikalische Nostalgie herbeizaubert, produzieren die Tanzpaare weniger Herzschmerz als technische Perfektion. Die Choreographie des Argentiniers Hector Zaraspe läßt die Tänzer zunächst nur kühle Kunstfertigkeit demonstrieren. Auch das Bühnenbild, das eine Hafenkneipe samt verwitterten Gästen vortäuscht, erscheint angesichts des durchstilisierten Tanzes wie Heuchelei. Dennoch nötigt die technische Brillanz der jungen Tänzer dem Publikum Bewunderung ab. Schließlich hat der Tango seit Jahren seine treuen Anhänger und hält sich neben dem Bauchtanz, dessen Boom ebenfalls nicht abebben will, ganz oben auf der Beliebtheitsskala sportiver Exotik. Die sechs Profipaare setzen schier unerreichbare Maßstäbe: Wie viele Übungsstunden wohl nötig sind, um dem Partner das Bein in den Schritt zu schleudern, als bestünde die Kniescheibe aus purer Gelatine? Der Blick vom zweiten Rang auf ein Meer silbrig-grauer Häupter läßt allerdings die Folgerung zu, daß der Mehrzahl der Tango- Begeisterten solch eine Elastizität mittlerweile abgehen dürfte.
Herzschmerz in technischer Perfektion Foto: Thomas Aurin
Während die Gesichter der Tanzpaare innige Nähe demonstrieren, liefert man sich unterhalb der Gürtellinie ein akrobatisches Scheingefecht. Blitzschnell wirbelt ihm eine Tänzerin ihre spitzen Absätze zwischen die Beine – ein Tanz wie mit Rasierklingen unter den Sohlen. Mal schwingt sie ihre Absätze bedrohlich bis an sein Ohr, dann wieder wickelt sie die Wade zärtlich um sein Knie. Szenisch unterstützt wird das Schwanken zwischen Hingabe und Zurückweisung durch theatralische Einschübe, in denen sich die Paare trennen und begegnen. Für sinnliche Atmosphäre soll daneben auch eine Schauspielerin sorgen, die in ihren Schmachtposen jedoch eher wie eine etwas mollig geratene Marlene-Dietrich-Parodie wirkt.
Knisternde Spannung entsteht eher im zweiten Teil. Neben rasanter Beinarbeit zeigen die Paare hier auch andere Figuren. Die Damen heben ab, schleifen über den Boden und erstarren in wunderschönen Momentaufnahmen. Ein Höhepunkt ist die getanzte Beziehung zwischen zwei Männern, die mit der Selbstherrlichkeit eitler Stierkämpfer ihr Machotum ästhetisieren. Zwischen den Tänzen, die in ihrer gleitenden Eleganz an Eiskunstlauf erinnern, sorgt der Gesang von Patricia Lasala und Alberto del Solar für Melancholie. Das Sexteto Mayor, das zu seinen Soloeinsätzen hinter einem Gittervorhang auftaucht, spielt vor einem knatschblauen Bühnenbild, als wolle es karibische Nächte suggerieren. So viel Künstlichkeit ist fast schon Ironie. „Tango Pasión“ ist zu perfekt, um noch Passion zu sein. Nicht Leidenschaft wird dargestellt, sondern Narzißmus. Trotz simulierter Hingabe ein einsames Vergnügen. Anne Winter
Sexteto Mayor: „Tango Pasión“. Bis 9.1. heute, Mo. und Di. 20 Uhr, Sa. 17 und 21 Uhr, So. 16 und 20 Uhr, Metropol-Theater, Friedrichstraße 101, Mitte
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