Sanssouci: Vorschlag
■ Keine Wegwerfbücher: Carmen Boullosa liest im Literaturhaus
Eine Prise Geschichte, ein wenig Revolution, vielleicht ein bißchen Weiblichkeit und dazu viel Magie und Multikulti: das sind die Zutaten für den leichtverdaulichen Brei, der als „neue lateinamerikanische Literatur“ massenhaft angeboten wird. Im Schatten der „Boom“-Autoren wie Gabriel Garcia Márquez, Alejo Carpentier oder Carlos Fuentes tummeln sich die Epigonen, die ästhetische Konzepte wie den magischen Realismus verbraten. Und das Publikum, zumal in Europa und Nordamerika, dankt es, indem es Romane wie „Die bewohnte Frau“ (Gioconda Belli) oder die Bücher Isabel Allendes begeistert verschlingt.
„Mir wird dabei übel“, sagt Carmen Boullosa. Die 41jährige Schriftstellerin aus Mexiko-Stadt, die zur Zeit als daad-Stipendiatin in Berlin lebt, gerät in Rage, wenn sie über die Bestsellerautoren ihrer Generation spricht. „Bücher sind keine Wegwerfprodukte, die man freitags beginnt und montags in den Mülleimer wirft“, sagt sie. Und daß die Frauenliteratur in Mexiko zu „einer kleinen Industrie“ angewachsen sei, ärgert die mehrfach ausgezeichnete Autorin besonders. Ihre eigenen Texte (neben sieben Romanen auch Theaterstücke und Gedichte) entziehen sich der einfachen Lektüre. Sie verweben Genres wie den Abenteuerroman und die phantastische Literatur, verknüpfen verschiedene Zeitrahmen und entspinnen ein komplexes Netz von Erzählebenen. Zur Zeit arbeitet Boullosa an dem Roman „Cielos de envidia“ („Himmel des Neids“), der drei Erzähler auftreten läßt: einen von Franziskanern erzogenen Indio aus der Kolonialzeit, der zum Priester ausgebildet werden soll, eine Übersetzerin, die in unseren Tagen das Manuskript des Indios ins Spanische überträgt, und eine weitere Übersetzerin, der in einer nicht allzu fernen Zukunft die Übersetzung des Manuskripts in die Hände fällt.
Carmen Boullosa Foto: Ekko von Schwichow
Auch wenn Boullosa vom historischen Roman als Gattung wenig hält, tauchen geschichtliche Stoffe in vielen ihrer Texte auf, so auch in „Son vacas, somos puercos“ („Sie sind Kühe, wir sind Schweine“), wo es um einen karibischen Männerbund im 17. Jahrhundert geht. Neben „La milagrosa“ („Die Wundertäterin“) ist dies der einzige Roman, der bisher ins Deutsche übertragen wurde. Aus diesen beiden Arbeiten wird Boullosa heute vortragen und damit zeigen, daß jüngere lateinamerikanische Literatur spannender ist, als die Bestseller glauben machen. Cristina Nord
Heute, 20 Uhr, Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23
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