piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ André Herzbergs „Anplacktshow“ im Prater

Das geht so: Augen zu und Seele raus. Atmen, pressen, ein Yeah aus tiefster Brust, der Griff um das Mikro wird fester, die Töne immer sicher und präsent. O ja, da erzählt einer vom Leben, seinem Leben – „anplackt“ eben, real life in fetten Blue Notes, Countryschmachtereien und karibischen Klängen, die ganze Plackerei purzelt ihm von der Seele. André Herzberg, ein Liedermacher in persona und rosa Seidenhemd, ebenso rund wie seine Locken und links ein Langhaariger, ebenso lang wie die Mähne. Felix Lauschus und Tino Standhaft. Zwei Männer, die aussehen, als kämen sie direkt aus dem Wilden Westen, und einer, Herzberg, der nicht mehr will. Der Strick hängt vor ihm, „allet Scheiße“, so fängt es an. Da werden die wilden Männer weich. Und plötzlich singt er wieder, „einmal“ noch.

André Herzberg fährt die Existentialisten-Tour. Am Ende packt er das Seil auf seine Schultern, Gründe gibt es keine, und das ist gut so. Es reicht, wenn er singt und erzählt, mal liebesbedingt weichgespült, manchmal ironisch. Offensichtlich hat er Spaß daran und – was Wunder – wir auch. Wirklich ein Wunder, denn eigentlich sind wir zu alt für solche Liedermacher-Abende und auch zu alt für Lieder, in denen es um Hausaufgaben, Haushaltsjobs und Angst vor Mutters Rückkehr geht, während der Abwasch noch vor sich hingammelt. Nicht zuletzt aber ist der Barde, immerhin ein ausgewachsener Familienvater, aus diesem Alter heraus. Also vermuten wir westlichen Grünhörner hinter dem Liedgut Restbestände aus der Zeit, als Herzberg als „Pankow“-Bandleader in den frühen Achtzigern mit seinen Rockshows, „Paule Panke“ und „Hans im Glück“ ausreizte, was die DDR-Staatszensoren an westlich orientierter „Kulturdekadenz“ zu ertragen vermochte. Mit diesen Aktivitäten verschuf sich Herzberg seinen „SiVo“, den „Sicherungs-Vorgang“, eine harmlosere Art der Stasi-Akte, die er inzwischen bei der Gauck-Behörde einsehen konnte. Und genau hier wird's ernst: Neben der Lacher-heischenden Aufzählung diverser DDR-Marken und DDR-Originalerlebnisse scheint Herzbergs Wut über falsche Freunde durch. Dezent-spitze Anspielungen auf seine Bespitzler, die heute längst aus seinem Leben verschwunden sind, flicht er ein, fragt sich, was wohl aus Günther geworden ist, und läßt das Publikum ausleuchten. Doch das lag ihm nur zu Füßen. Petra Brändle

Weitere Shows am 18., 19., 20. und 21. Februar, 20 Uhr, Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen