Sanssouci: Vorschlag
■ Mit Farfisa-Orgel: The Cardigans im Huxley's Junior
Schwedisches Popwunder? The Cardigans Foto: promo
Ich persönlich kann mir das nur so erklären: Keiner dieser jungen Menschen, die schon nachmittags ihr Bafög in Form von Cocktails verschlürfen, wurde mit James Last oder Bert Kaempfert bereits gequält, als diese noch richtig lebendig waren. Ich schon. Ich hatte damals schon Fernsehen, mich könnte man damit jagen, wenn mir nicht längst die Füße eingeschlafen wären.
The Cardigans wiederum sind ganz bestimmt zu jung, um diese ungefilterten Erfahrungen mit mir zu teilen. Andererseits sind sie bei Licht betrachtet nur eine recht durchschnittliche Gitarrenpop-Band, viel zu gerade, viel zu naiv an verflossenen harmonischen Idealen festhaltend, um in diesen Zeiten neuerwachten Brit-Pop-Bewußtseins irgendeine Bedeutung zu erlangen. Genau das aber machte sie wohl anfällig für die hübschen Klingeklang-Sounds aus einer Zeit vor ihrer eigenen Geburt, für die komisch sterilen Mondscheinstreicher, für Melodica und Vibraphon, für Posaune und Triangel und Farfisa-Orgel.
All das wäre vielleicht nicht passiert, hätten die Cardigans nicht ein bestimmtes Studio in Malmö beehrt, um dort zufällig von vielen vergessenen Instrumenten den Staub zu wischen. Zuerst wunderten sie sich, und dann entdeckten sie, daß sich daraus Klänge entlocken ließen, die das häßliche Entlein zum Schwan mutieren ließen. Aus einer eher durchschnittlichen Popband mit Hang zu den Sixties wurde ein Popentwurf fast auf der Höhe der aktuellen Diskussion. Den Verdacht, daß sie sich schon vorher mit Easy Listening beschäftigt hätten, weisen sie aber entschieden von sich. Statt dessen hört der Songschreiber privat Heavy Metal, aber wenn sie ihre Rickenbackers schmeicheln lassen, fragt man sich doch ernsthaft, ob der Mann nicht was an den Ohren hat. Zum Beweis covern sie uns was: Thin Lizzys „The Boys are Back in Town“ fiel ihnen schon zum Opfer, und man höre Sängerin Nina den „Sabbath Blood Sabbath“ besingen. Ozzy Osbourne wird zum Tod durch Gummibärchenüberdosis verurteilt.
Die Folgen sind dramatisch: In Japan sollen die Cardigans mehr Platten verkaufen als Take That. Was zwar nicht gerade das nächste skandinavische Überfliegpopwunder bedeutet, aber nahelegt, daß Japaner vielleicht doch den besseren Geschmack haben. Denn trotz aller Lieblichkeit sind die schwedischen Freunde lange nicht so verlogen schmierig wie die fleischgewordenen Träume aller überzeugten Minderjährigen. Thomas Winkler
Heute, 21 Uhr, Huxley's Junior, Hasenheide 108, Neukölln
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