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SanssouciVorschlag

■ Patriarch als Penner: Liz- Theater mit "Lear" am Halleschen Ufer

Der alte König wühlt im Wohlstandsmüll Foto: Thomas Aurin

„Der Kapitalismus, der seinerzeit in den Geburtswehen lag, hat sich längst zu seiner inhumanen, imperialistischen Konsequenz ausgewachsen, die Probleme und Spannungen, im Shakespearschen Lear noch national und regional begrenzt, sind zu globalen geworden.“ Dieser Lehrsatz historisch-materialistischer Interpretation steht im Konzeptpapier des Liz-Theaters. Nicht minder weltgültig zieht die Pankower Gruppe daraus den Inszenierungsschluß, daß hier „feudal-hierarchische Reproduktionsmechanismen durch rational-ökonomisches Kosten-Nutzen- Denken abgelöst“ werden.

So geht es auf der Bühne nicht um einen alternden König, der Macht und Verstand verliert. Hier ist Lear (Frank Heise) ein Penner, der, zum Kind regrediert, im Wohlstandsmüll herumkramt: ein ausgeschlachteter Kühlschrank, ein Sektkarton und ein Straßenschild mit der Aufschrift „Clara-Zetkin-Straße“. Der demontierte Sozialismus – das ist mittlerweile Klischee – muß in jede Parabel gesellschaftlichen Verfalls. Unter Peter Langes Regie spielen individualistische Dinge wie Treulosigkeit, Freundschaftsverrat oder Vertrauen keine Rolle. Nein, die Machtfrage ist die einzige, die wieder und wieder gestellt wird. Entsprechend antipsychologisch ist das Personal. Da stehen keine Menschen, sondern Funktionsmaschinen. Da wird Shakespeare in den Nachsätzen immer wieder mit Nicht-Shakespeare konfrontiert, und von der Fabel bleiben nur Fragmente. Ganz wie in der Volksbühne. Und da wären wir beim Kern. Was sich als radikale Lesart gibt, ist ein pseudomutiges Plagiat dessen, was das fortschrittliche Stadttheater seit Dekaden an gesellschaftlich relevanter Klassikerdemontage vorexerziert. Das kann im Off nicht gutgehen, dazu fehlen die Schauspieler, dazu fehlt der Apparat.

Bleibt ein hochmotiviertes Ensemble, das mit aller Kraft für das Unmögliche kämpft, bleiben einzelne starke Momente wie die Blendungsszene oder ein Menuett der siegreichen Intriganten, bleibt eine überambitionierte Anhäufung aller erdenklicher Stilmittel. Bleibt auch ein Irrtum: Wenn das Off sich mit den gleichen Ansätzen an den gleichen Stoffen reibt wie die großen Brüder, kann es nur verlieren. Dann beginnt man, piefig zu bemäkeln, daß der alte König viel zu jung besetzt ist, daß die Schauspieler teilweise Mühe haben, die gewaltigen Texte hörgerecht aus ihren Mündern zu bringen. Dann wird das Off zum armen Verwandten des Großen Theaters. Und das hat es nun wirklich nicht nötig. Gerd Hartmann

„Lear“ vom Liz-Theater. Bis 24.2., jeweils 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg

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