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■ Notfalls sehr böse: Die Schweisser im Loft. Sie singen jetzt auch

Abt. Klaustrophobie: Die Schweisser Foto: Intercord

Nun wurde in den letzten Jahren ja entdeckt, daß die deutsche Sprache durchaus singbar ist, nur auf das Naheliegenste kam kaum jemand. Daß nämlich das rauhe „R“ und all die anderen harten Laute unserer Muttersprache ganz hervorragend zu Death-, Thrash oder Doom-Metal passen würden. Ausnahmen wie Fleischmann bestätigten hier die Regel, und ausgerechnet unsere Berliner Freunde haben sich zur letzten Platte vom Kindermördergebelle abgewandt und entdeckt, daß man singen kann.

Diese sich auftuende Marktlücke zu füllen, haben sich nicht nur Rammstein aufgemacht. Aus dem Bayerischen kommen jetzt die Schweisser daher. Die Rhythmusgruppe der Münchner läuft Amok, während die Gitarren fleißig Wälder roden und Sänger Tommy Böck seinen Stimmbändern die letzten Reserven entlockt. Der Mann wechselt beständig zwischen der Synchronisation eines Splatterfilms und einem verklemmten Quengeln, als wolle er nur mal brummelnd anmerken, daß ihm jemand das letzte Bier weggesoffen hat. Dabei vergißt er allerdings nicht anzumerken, daß er notfalls ziemlich böse werden könnte. Ein hübscher Einfall ist es, diese Fisimatenten hin und wieder mit einer süßlichen Frauenstimme zu konterkarieren. Doch ansonsten hängt der Hammer immer genau da, wo er hingehört: in der klaustrophobischen Abteilung.

Es braucht wohl den Gesangsstil von Böck, um die Texte, die er so singt, entsprechend zu illustrieren. Ein gefundenes Fressen für Freudianer, der Mann: Da schnüffelt er wie ein Tier, werden Wunden in zarte Körper geschlagen, um sie anschließend zu lecken, wird rostiges Wasser getrunken und mit blutigen Fingern Schimmel von den Wänden gekratzt – Gewalt- und Sexphantasien bis zum Abwinken. Böck ist sich dabei nie zu schade, mit Haut und Haar in seine Rollen zu schlüpfen. Doch als hätte er Angst vor der eigenen Courage, wird die aktuelle Platte mit „Demuth“ beschlossen. Dort werden dem Protagonisten, einem Mitläufer, der seinem Führer verspricht, „jeden Frevler“ für ihn totzuschlagen, Sätze in den Mund gelegt, die auch noch dem letzten klarmachen sollen, daß die Schweisser sich von ihnen distanzieren: „Wir sind zu feige, unser Leben selbst zu lenken, wir laufen lieber irgendeinem Trottel nach“. Aber das war vielleicht auch angebracht, heutzutage sind manche mit dem Faschismusvorwurf schnell bei der Hand. Thomas Winkler

Heute, 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

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