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■ VorschlagFernweh nach der Zwangsjacke: G. Lawatsch bei den Wühlmäusen

Heinz geht es gar nicht gut. Die Mundwinkel zeigen nach unten, schlaff hängen Unterlippe und Backen, die Arme baumeln kraftlos. Plötzlich und unerwartet ist seine Welt zusammengestürzt. Denn eines Abends vor dem Badezimmerspiegel überfiel den 46jährigen Verlagskaufmann der große Ekel – vor dem Leben, vor den anderen und vor allem vor sich selbst.

„Der letzte Schrei“ von Anne Schulz und Gregor Lawatsch, mit dem der Kölner Kabarettist Lawatsch derzeit bei den Wühlmäusen gastiert, ist ein irrsinnig komisches Stück über das ganz normale Grauen vor der Normalität. Alles, was für Heinz jahrelang selbstverständlich war, erscheint ihm auf einmal fremd und sinnlos. Beim obligatorischen Fernsehabend mustert er befremdet seine Frau, die Fröhlichkeit der Kollegen findet er unerträglich, und auch seine Kinder mag er nicht mehr ansehen. Psychopharmaka helfen gegen die manische Phase, die depressive bleibt: „Ich sitze die Miete ab, verbrauche Luft, die Nägel wachsen... Was soll ich denn noch alles machen?“ Die halbverweste Standardfloskel vom Lachen, das im Halse steckenbleibt, wird hier auf schmerzhafte Weise wahr.

Vor einem Jahr erzählte Lawatsch in seinem ersten Solostück „Friß mich, bitte friß mich!“ von einem Familienvater, der sich in ein Schwein verwandelt. Heinz' Schicksal ist dagegen beunruhigend alltäglich. Nur die Suizidphantasien, in denen er in Gorleben erschlagen wird, dem Tod begegnet und sich in den biblischen Lazarus verwandelt, fallen aus dem Rahmen. Doch der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer kann sich Gregor Lawatsch stets gewiß sein, weil seine tragikomischen Bekenntnisse absolut glaubwürdig wirken. Heinz' Selbstmordversuche scheitern unweigerlich, selbst der Fön im Badewasser stellt sich als harmlos heraus: „Den hatten wir nämlich mal in der DDR gekauft. War eben doch ein menschlicheres System.“ Am Schluß steht Heinz in der Zwangsjacke da, glücklich und zufrieden: Er hat seinen Platz im Leben gefunden. Miriam Hoffmeyer

Bis 24.8, täglich um 20 Uhr, Die Wühlmäuse, Nürnberger Straße 33

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