■ Vorschlag: Gegen die dunklen Mächte: Foetus und Barkmarket im Huxley's Junior
Das kleine Dorf heißt Industrial-Rock. Es will nicht aufgeben, obgleich es erst kürzlich von Nine Inch Nails und Ministry bis aufs letzte Hemd geplündert wurde. Seit einiger Zeit ist es auch belagert von den Heerscharen der dunklen Mächte: Techno, Easy Listening und Britpop. Aber noch wird es heldenhaft verteidigt von einem Mann: Clint Ruin alias Wiseblood alias Steroid Maximus alias Foetus. Nach der letzten gültigen Zählung hat Jim G. Thirwell in den letzten fünf Jahren 33 Platten herausgebracht und sich fast zweidutzendmal einen neuen Namen ausgedacht. Doch damit nicht genug, denn der gebürtige Australier betätigt sich auch noch als Produzent und remixte unter anderem Songs von den Red Hot Chili Peppers, Front 242, Cult, Megadeth, The The, Pantera oder Prong.
Auf Platte vermißt Thirwell gerne sämtliche Untiefen in der Ehe zwischen hartem Rock und Industrial. Dabei ist er oft und gerne allein und setzt auf seinen Selbstinszenierungstrips alle denkbaren technischen Spielzeuge ein. Vielleicht lädt er sich noch ein paar Trompeter ins Studio. Doch auf der Bühne in klassischer Rockbesetzung reduzieren sich die kleinen Horrorminiaturen Thirwells meist leider auf einen mühsam stampfenden Noise-Rock, den Sonic Youth früher mal besser konnten.
Wohl nicht umsonst covern Foetus denn auch „I am the Walrus“, und der Beatles-Gassenhauer bekommt eine allzu wörtliche Bedeutung eingeschrieben. Erst wenn die Band nicht versucht, den Mangel an Equipment mit Hochgeschwindigkeitsgekloppe wettzumachen, und statt dessen wie unbeteiligt und orientierungslos herumtorkelt, wenn Thirwell die Intensität in der Transparenz entdeckt und in den tiefsten Tonlagen zerissen daherknödelt, erst dann beginnt man zu glauben, daß er und sein kleines Dorf eine Überlebenschance haben. Außerdem sind Entsendetruppen in Sicht. Schon seit einiger Zeit versuchen Barkmarket die Belagerung zu durchbrechen. Sie kommen aus dem weniger wehrhaften Dörfchen New York, genauer gesagt aus Brooklyn, wo sich die Druiden von Sonic Youth zuletzt ganz aufs Mistelschneiden verlegt haben.
Auch dieser Einheit steht ein Egomane vor. Dave Sardy schreibt zwar eigentlich keine Songs, aber er läßt seine Band welche spielen. Über delirierenden Gitarren entblößt er dann die übelsten Abgründe seiner Seele. Zum Glück versteht man nicht viel, weil Sardy seine Stimmbänder meist über Gebühr in Anspruch nimmt. Dabei aber, und das ist das Unglaubliche an Barkmarket, swingt diese Band, bringt den Splatter zum Grooven und die Psychoanalyse zum Tanzen. Thomas Winkler
Mit Otis, 28.8., Huxleys Junior, Hasenheide 108-114, Neukölln
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