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■ VorschlagIkone des Widerstands: Zülfü Livaneli in der Philharmonie

Anfang der achtziger Jahre, als Zülfü Livaneli gemeinsam mit der griechischen Sängerin Maria Farantouri durch die BRD tourte, da nahmen selbst Spiegel und Zeit von dem epochalen Ereignis Notiz.

Kein Wunder, schließlich handelte es sich bei Livaneli und Farantouri um Ikonen des Widerstands gegen die Militärdiktaturen in ihren überdies untereinander schwer verfeindeten Ländern. Mit Mikis Theodorakis hatte Livaneli kurz zuvor den griechisch-türkischen Freundschaftsverein gegründet, um „Eisberge zum Schmelzen“ zu bringen. Auch war Livaneli durch die Saz-Kompositionen für Filme wie „Yol“ und „Sürü“ bekannt geworden.

Jeder in der Türkei kennt Livanelis Stücke, und wer Saz lernt, der kann sie meist auch spielen. Er ist heute auch ein Symbol für die Desillusionierung der türkischen Linken. Aus dem unermüdlichen Kämpfer für eine bessere Welt, der mehrere Jahre im Exil verbringen mußte, ist ein pragmatischer Liberaler geworden. Zu allzu optimistischen Hoffnungen gibt es in der Türkei ohnehin wenig Anlaß: Das Eis zwischen Griechenland und der Türkei ist immer noch nicht getaut, und der Militärdiktatur folgte keine Aufarbeitung, sondern der ohnmächtige Wirtschaftsboom der Özal-Jahre, von dessen sozialen Kosten nun die Islamisten profitieren. Was auch Livaneli nicht verhindern kann: Vor drei Jahren, als den wegen einer Korruptionsaffäre belasteten Sozialdemokraten der Verlust des Istanbuler Rathauses drohte, ließ er sich von ihnen, quasi als letztes Aufgebot, als Kandidat für das Bürgermeisteramt aufstellen. Es nützte bekanntlich nichts, und heute regieren die Islamisten die Stadt und auch das Land. Als Livaneli zwischen 1971 und 1973 vom Militärregime mehrere Male ins Gefängnis gesteckt wurde, habe er begriffen, daß er sein Publikum mit Balladen besser erreichen könne als mit seiner Literatur. Heute nimmt er nur noch gelegentlich Platten auf. Lieber meldet er sich in Zeitungskolumnen zu Wort, wie kürzlich mit einem ziemlich resignierten Essay im Spiegel, in dem er über die eigene Wirkungslosigkeit grübelte. Daniel Bax

Zülfü Livaneli: Donnerstag, 3.10., 20 Uhr, Philharmonie

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