piwik no script img

■ VorschlagStraße & Dorf - der weißrussische Dichter Ales Rasanau in Potsdam

Ales Rasanau trat 1961 vierzehnjährig mit ersten Gedichten an die literarische Öffentlichkeit. Was sich bei anderen frühreifen Lyrikern als Strohfeuer erwies, hat er über die Jahre hinweg bewahrt: eine poetische Naturbegabung, mit der er zu einer der wichtigsten lyrischen Stimmen in seiner Heimat Weißrußland wurde. Bei uns sind Person und Werk Rasanaus so gut wie unbekannt. Eine jüngst im Agora Verlag erschienene Werkauswahl („Zeichen vertikaler Zeit“), die von Norbert Randow herausgegeben wurde, stellt den Dichter und Übersetzer zum erstenmal im größeren Rahmen dem deutschen Publikum vor. Die Auswahl enthält Texte aus den bisher sieben Gedichtbänden sowie aus Zeitschriftenpublikationen des Autors, die von Elke Erb übertragen wurden.

Rasanau, 1947 in dem Dorf Sjalez in der Nähe von Brest geboren, entstammt einer historischen Landschaft, deren Bewohner ihre selbständige Kultur über beinahe zwei Jahrhunderte gegen die staatliche Vereinnahmung durch Rußland behaupten mußten. Von 1921 bis zur Okkupation durch die sowjetische Armee infolge des Hitler-Stalin-Pakts gehörte das Gebiet zu Polen. In Sjalez, an der Straße, die Warschau mit Moskau verbindet, treffen sich die Spuren verschiedener Kulturen: Siedler aus Mittel- und Westeuropa ließen sich hier nieder, neben dem katholischen und rechtgläubigen Gottesacker gab es einen jüdischen Friedhof. Von anderem Kaliber waren die deutschen „Kultureinflüsse“ während des Zweiten Weltkriegs, die Elke Erb beschreibt: „Im Nachbarort war der deutsche Kommandant getötet worden, und die Deutschen trieben die Leute zur Erschießung zusammen. Die Kleine [Rasanaus Schwester] scherzte, sang, tanzte, bis die Deutschen ihretwegen die Mutter freigaben.“ Der Vater wird als Partisan festgenommen und übersteht mit viel Glück und Solidarität die Lager Sachsenhausen und Mauthausen, doch findet er nach der Rückkehr zur Familie keinen Halt mehr.

Der poetische Raum in den Gedichten Rasanaus umfaßt das Dorf seiner Kindheit, in der dörflichen Lebenswelt gründet die Ursprache seiner Dichtung: „Poem von der Ernte“ oder „Poem von der Sonnenblume“ heißen die Gedichte des weißrussischen Lyrikers. „Die Straße und das Dorf sind Grundbilder der weißrussischen Literatur“, schreibt Rasanau. „Doch wenn früher die Straße zum Dorf führte, so ist es jetzt eher umgekehrt: Das Dorf führt zur Straße.“ Dorfidyllik, bukolische Abkehr von der Gegenwart wird man in den Texten des Lyrikers ebenso wenig wie das Kokettieren mit der Aktualität finden. Dennoch sind Rasanaus Gedichte politisch, nicht in der Art von Propaganda, sondern auf eine solche Weise, die jedes gute Gedicht zu einem Politikum macht, indem es auf den zeitlosen Rechten des Individuums beharrt. Unbestritten bei aller Subjektivität der Empfindung bleibt hingegen, was Norbert Randow in seinem Nachwort schreibt – „daß hier eine Stimme sich zu Wort meldet, die im Ensemble der modernen europäischen Dichtung nicht mehr zu überhören ist“. Peter Walther

Heute um 20 Uhr, Einstein-Forum, Am Neuen Markt 7, Potsdam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen