■ Vorschlag: Pilgermarsch mit Brennesseltee: Auf E.T.A. Hoffmanns Spuren
Zwischen Kreuzberg und Mitte sind die Schauplätze im Leben E.T.A. Hoffmanns mit häßlichem Siebziger-Jahre-Beton zugeflatscht. Für einen empfindsamen Geist des letzten Jahrhunderts nicht gerade angemessen, damals sah ja alles noch preußisch-königlich aus. Ein datengespickter Pilgermarsch, organisiert vom Verein Stattreisen Berlin, zeigt dem Hoffmann-Passionario in zwei Stunden, wo sich der Dichter, Komponist und Maler von 1814 bis 1822 am liebsten aufhielt. In ganzen acht Berliner Jahren schrieb Hoffmann die meisten seiner heute allenthalben geachteten Werke wie „Elixiere des Teufels“, „Lebensansichten des Katers Murr“ oder „Nachtstücke“. Geht man seine Biographie vom Ende her nach, beginnt alles am Jerusalemer Friedhof am Mehringdamm, wo er in prominenter Nachbarschaft der Heines und Mendelssohns die letzte Ruhe gefunden hat. Von dort führt Hoffmanns Curiculum über den zugigen Mehringplatz in Richtung Zeitungsviertel. Spätestens hier sind die Zehen- und Fingerspitzen eingefroren, doch hat man als Hoffmann-Jünger mit Erfahrung für diesen Fall ein Thermosfläschchen Brennesseltee dabei. Ein Täßchen in der Friedrichstraße vor dem Haus Nummer 235, wo der Dichterfreund Adalbert von Chamisso wohnte. Das zweite vielleicht vor dem Berlin Museum, dem damaligen Kammergericht. Hier arbeitete E.T.A. als Kammergerichtsrat, bis er den engagierten Turnvater Jahn in einer rechtlichen Angelegenheit vor seinem Vorgesetzten in Schutz nahm. Zur Strafe wurde unser Künstler im hohen Bogen rausgeschmissen. Das letzte Täßchen empfiehlt sich schließlich zwischen Schauspielhaus und Deutschem Dom, gegenüber von Hoffmanns ehemaligem Wohnhaus, wo eine Gedenktafel für jeden unsichtbar knapp vier Meter über dem Gehsteig an den literarischen Promi zu erinnern versucht. Richtig lesen kann sie allerdings nur derjenige, der sich beim Fensterputzen weit genug hinauslehnt. Alessandro Peduto
Informationen bei Stattreisen Berlin e.V., Malplaquetstraße 5, Tel.: (030) 455 30 28
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