■ Vorschlag: ...und Hellmuth Karasek liest aus "Go West!" in der Kulturbrauerei
Daß er ein guter, ja unterhaltsamer Schreiber ist, hat er seinen Lesern im Spiegel schon während der vergangenen Jahre bewiesen. Nachdrücklich unterstrichen hat Hellmuth Karasek dies nun wenige Monate vor seiner „einvernehmlichen“ Demission aus dem Nachrichtenblatt mit einer, seiner „Biographie der fünfziger Jahre“: „Go West!“ Dem Mann aus der Stammbesatzung des „Literarischen Quartetts“ ist dies vergnüglich gelungen. „Die fünfziger Jahre sind für mich zuerst Jahre des Kalten Krieges, Zeiten eines Krieges, in dem ich die Fronten gewechselt hatte“, schreibt er, der während dieser Zeit aus der „Zone“ ins „Wirtschaftswunder“ flüchtete. Und: „Die fünfziger Jahre sind eine Zeit der Lüge. Nur einer Lüge?“
Nein, er beantwortet seine Frage auf den folgenden 333 Seiten auf ganz eigene Art. Die Fifties, heutzutage eher geziehen als ein Jahrzehnt des Muffes, beschreibt er als eine Dekade voller Heuchelei und „So-tun-als-ob“. Anekdoten, Begebenheiten und historische Einstreusel noch und noch: Geschichten über die Weltjugendfestspiele, den amerikanischen Soldatensender AFN, über den „Adler ohne Hakenkreuz“, über „tropfende Nylonhemden“, moderne Kirchen („weihrauchabweisend“) und Vera Brühne („eine deutsche Lebedame“), aber auch über „sanfte Rebellen“ wie Elvis und Jimmy Dean und natürlich das „Wunder von Bern“.
Der Vorzug dieser Erinnerungen ist, daß sie auf gänzlich unakademische Weise ein Jahrzehnt fühlbar machen, das offenbar viel roher und lebendiger war als die offizielle Historiographie glauben macht. Das Unaussprechliche, die NS-Zeit, war vorbei, endlich. Von einem Tag auf den anderen war es so mausetot wie gleichzeitig vergessen. Man lebte, und das immer besser. Politik? Bloß nicht! Man soff (offen), rauchte (sogar noch gerne), hurte (sehr versteckt) und haute auf die Pauke (wie Wolfgang Neuss) – eine Zeit, als Hildegard Knef berühmt und Heinz Erhardt komisch wurde. Kritiker haben Karasek gelegentlich seiner Memoiren eine gewisse Leichtigkeit in der Schreibe übelgenommen – man hätte es gern etwas tragender gehabt. Aber kann der Mann etwas dafür, daß er nicht ständig im Geiste Paul Celans herumlief und das Melancholische aus seinem Buch akkurat glatt rasierte? Der wollte leben, der Mann, und das gut. Demnächst fungiert der Feuilletonist als Mitherausgeber des Tagesspiegels. Kaum vorstellbar, daß er mit seiner Mentalität in dem Laden glücklich wird. Noch ist er dort nicht bestallt. Heute abend liest er aus seinem Buch vor. Jan Feddersen
Heute, 20 Uhr, Kulturbrauerei, Danziger Ecke Knaackstraße
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