piwik no script img

■ VorschlagCartoons von Gerhard Seyfried und György Brenner im Haus Ungarn

Auf den ersten Blick haben die beiden Zeichner, deren Arbeiten im Haus Ungarn unter dem Titel „Berliner Utopien – Budapester Aussichten“ gezeigt werden, nur wenig miteinander zu tun. Während sich die Arbeiten von Gerhard Seyfried an die linksalternative Subkultur richteten, wandten sich die Bilder des 1993 verstorbenen György Brenner – nun ja, an die Allgemeinheit. Während Seyfried trotz hoher Auflagen nie so recht ernst genommen wurde, gilt György Brenner spätestens seit 1989 als großer Künstler.

Eigentlich kann man sich nicht so recht vorstellen, daß Leute, die nicht Teil der westlichen Alternativkultur waren, etwas mit Seyfried-Cartoons anfangen können. Ist aber nicht ganz so. György Dalos, der sympathische Leiter des Hauses Ungarn, hatte Seyfried während seiner ersten Westreise kennengelernt. 1978 hatte er, ohne überhaupt den Namen des Zeichners zu kennen, eine seiner bekannteren Zeichnungen in die DDR geschmuggelt. „Es war eine Europakarte mit witzig verdrehten Namen. [...] Ich hätte das Ganze vergessen, hätte mich nicht unlängst eine besonders vertrauenswürdige Quelle an das Geschehene erinnert.“ In seinen Stasiakten hieß es also: „Aus einer westlichen Publikation, die Dalos mitgebracht hatte, las sie [eine Freundin] mit offensichtlichem Vergnügen eine Reihe von DDR-Städtenamen vor, die in dem Text verunstaltet wurden: ,Rest-Berlin und Rost-Berlin', ,Deutsche Desinfizierte Republik', ,Karl-May-Stadt', ,Rohrstock'.“

Inzwischen findet man die alten Seyfried-Comics albern, kindisch und ein wenig peinlich. Totschlagbegriffe wie Realitätstauglichkeit oder Politikfähigkeit gehen einem wie selbstverständlich von den Lippen, man orientiert sich am Establishment. Mit dem Ernst der Stasi betrachtet man die Seyfriedschen Blaumannanarchos, die struppeligen Frisuren, die feministisch gesinnten Frauen, die den Männern ein wütendes „Chauvi!“ hinwerfen, die alternativen Beziehungsversuche. Kindisch kommen einem die Berliner Kifferutopien vor, denn das Herrschende ist schließlich das Wahre, und man selbst ist irgendwie verhärtet, zur Stasi geworden und beißt sich gleich auf die Lippen, denn so was darf man ja nicht sagen.

Die Ausstellung im Haus Ungarn macht also melancholisch, Wehmut kommt vorbei, wenn man sich die Zeichnungen anschaut. Zumal auch die großformatigen Bilder Brenners nicht allzu optimistisch wirken. Akribisch-melancholische Wimmelbilder; bedrängende Architekturen, tausend Menschen in einer Zeichnung, auf der eine Mutter mit ihrem Kind über die Straße zu gehen versucht, auf der Armee, Kirche, Friedensfreunde und Sexanhänger gerade demonstrieren. Klassisch vollendete Zeichnungen, die um so wehmütiger machen, je länger man sie anschaut. In einer Wüste von Blättern steht ein einsamer Asket und reckt seinen Stab gen Himmel. „Protest“ steht darunter. Detlef Kuhlbrodt

Berliner Utopien – Budapester Aussichten, bis 28.2., täglich 10-18 Uhr, Haus Ungarn, Karl-Liebknecht-Straße 9

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen