■ Vorschlag: Seltsam: Experimentelle Musik in der Baracke des Deutschen Theaters
Seit sich die Volksbühne zum Forum mitunter experimenteller Popkultur umdefiniert, sollte man sich ja nicht mehr darüber wundern, was in Theatern so alles vor sich geht. Daß die Baracke des Deutschen Theaters demnächst mit einer dreimonatigen Reihe experimenteller und/oder Improvisationsmusik startet, macht dann allerdings doch etwas stutzig — selbst wenn man berücksichtigt, daß das Programm dieser Nebenspielstätte nicht vom Intendanten Thomas Langhoff, sondern von dem jungen Regisseur Thomas Ostermeier und seinem Dramaturgen Jens Hillje bestimmt wird. Noch verwirrender wird die Sache, wenn man versucht, zwischen den doch recht unterschiedlichen Herangehensweisen der beteiligten Bands und Projekte Gemeinsamkeiten herzustellen, ohne auf Kategorien wie das beliebte „abseitig“ zu verfallen.
An einem der folgenden Donnerstage werden etwa Die Enttäuschung zu hören sein. Die Jazz-Dekonstruktivisten finden sich dann in der Gesellschaft der Plunderphoniker Stock, Hausen und Walkman wieder, die sich zuletzt über den Kosmos von Easy Listening hergemacht haben. Das Trio Stol hat vor kurzem auf Algen Tonträger, dem Hauslabel des Prenzlauer-Berger Clubs Anorak, eine Mini-CD veröffentlicht. Stol improvisieren live undogmatischen Free Jazz für die 90er und treten üblicherweise mit einem Überraschungsgast auf. Ihr Schlagzeuger Stephan Mathieu hat außerdem das Festival organisiert. Mit dabei auch die neuformierte Band des Ex-Universal-Congress-Of-Schlagzeugers Jason Khan, Cut, die seit langem Clubs von Schokoladen bis Anorak bespielen. Das exemplarische Rückzugsgebiet Anorak kombiniert aussagekräftig den Hinterzimmerkachelofen mit der Discokugel und kann überhaupt als Drehscheibe für den Berliner Improvisationsanteil der in der Baracke vertretenen Bands angesehen werden.
Mit To Rococo Rot und Paloma sind außerdem die herausragendsten Vertreter Berliner Post-Technos vertreten. Hätte es Daft Punk nie gegeben, wären Paloma vermutlich heute die ersten im Olymp superkrasser Neodisco. Das hindert verschiedene Labels allerdings nicht daran, sich schon um die erste Veröffentlichung der Band zu balgen. Und das ist nicht weiter verwunderlich: Paloma haben das Prinzip Techno in die Kategorien von Muskelkraft und Fingerfertigkeit transferiert, ohne wie in solchen Fällen üblich gleich wieder in die fiese Welt von Stadionrock zurückfallen. Die beiden Männer an Bass und Schlagzeug werden als lebendes Soundsystem am Donnerstag den bunten Reigen eröffnen: „Listen to the music and don't make any wrong move!“, das böse Sample aus einem ihrer kürzlich unter den präzisen Ohren von Jim Boom eingespielten Tracks dürfte auch als Motto der ganzen Reihe durchgehen. Ulrich Gutmair
Jeden Donnerstag, 22 Uhr, Baracke des Deutschen Theaters, Informationen unter Tel.: 284 412 21/22
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