■ Vorschlag: Retro der Filme von Jiri Menzel
Vorschlag
Retro der Filme von Jiri Menzel
Ein Motiv, das bedeutet zahllose Möglichkeiten. Leben ist eine unendliche Variation aufs Überstehen. Ein elender Blender, wer nicht zugibt, daß Rilke, Ringelnatz und Ernst Lubitsch das gewußt haben, Äonen bevor wir auch nur als Quark im Schaufenster lagen. Und Jiri Menzel. Jiri Menzel, der tschechische Regisseur, hatte Anfang der 60er die Famu absolviert, die Film-Fakultät der tschechischen Akademie. Famu klingt schön, fast wie famos oder „famous“, und berühmt wurde der 1938 geborene Menzel denn auch, als Regisseur und als Schauspieler, am Theater und beim Film.
Der Fahrdienstleiter drückt der Telegrafistin den Dienststempel auf den Allerwertesten. Der Stationsvorsteher züchtet Tauben, während der Lehrling darauf sinnt, seinem lausigen Leben in einem Stundenhotel ein Ende zu setzen. Endstation Eisenbahnstation, noch ist der Zweite Weltkrieg, ist diese Variation auf das Überstehen nicht zu Ende. Der Bahnbeamtenanwärter Milos wird eine Partisanin kennenlernen, an deren Größe er zum Manne reift, bevor er als Deutschenfeind erschossen wird. Heldentum? Die Komödie „Liebe nach Fahrplan“ (1966) war der erste abendfüllende Spielfilm von Jiri Menzel. Der Film erntete im Westen einen Oscar und im Osten Schelte, denn dem Heroischen gehörte Menzels Liebe nicht.
Nach dem Prager Frühling wurde Jiri Menzel mit Arbeitsverbot belegt und schlug sich an den Theatern Europas durch. Ein Giordano Bruno war Menzel nicht, eher ein Galilei: Nachdem er sich von den „Irrtümern“ der Neuen Welle losgesagt und mit „Wer den goldenen Boden sucht“ auch seine Loyalität zum Staat demonstriert hatte, durfte Menzel ab Mitte der 70er wieder Filme drehen, kleine Komödien wie „Häuschen im Grünen gesucht“ – nichts, wofür der Mann sich schämen müßte. Wo Heldentum fehlte, ob im Film oder im Leben, reüssierten Zufall, Wahnwitz und Provinz. Ein zweites Mal wurde Jiri Menzel mit „Lerchen am Faden“ berühmt. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen gedreht und 1970 verboten, erlebte die Geschichte vom Schrottplatz bei Kladno erst 1990 seine Wiederaufführung und gewann 1990 in Berlin den Goldenen Bären. Fortan wanderte Jiri Menzel von Gremium zu Festival. Seit 1994 hat er als Regisseur keinen Film mehr gedreht.
Eine Retrospektive ist so etwas wie ein Ehrendoktor der Filmkünste, wobei es ein besonderes Glück ist, wenn der Ehrendoktorand sich noch des Lebens erfreut. Trübe Gedanken? Für eine Retrospektive von Menzels Filmen gibt es derzeit Gott sei Dank keinen anderen Grund als den, seine Filme zu zeigen und ihm selbst zuzuhören. Das ist allerdings der beste Grund. Anke Westphal
Heute bis 31.5., Babylon-Mitte und Tschechisches Zentrum
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