■ Vorschlag: Reiseberichte von Rauchern: Stadtvideos in der Galerie HO
„Die Flüchtigkeit der Stadt“ nennt sich die Ausstellung, die zur Zeit an der Peripherie derselben stattfindet. Gastgeber ist die Galerie HO, gelegen in Hellersdorf. Sie versucht das Phänomen durch ein Medium zu erfassen, das per se dem Flüchtigen auf der Spur ist: die Fotografie.
André Werner bedient sich allerdings beim Videofilm. Vielleicht deshalb geht der Blick zuerst zu den Monitoren, die im Eingangsraum aufgebaut sind. Manche scheinen ausgeschaltet, andere zeigen sich bewegende Lichtflecken.
Mit der Zeit sieht man, wie phasenverschoben eine immer gleiche Szene kommt und geht: eine sich lustvoll rekelnde nackte Frau, deren Körper fragmentarisch aus geheimnisvollem Dunkel auftaucht. Die Videokamera lüftet immer nur kurz den Schleier, das Bild spiegelt sich, löst sich auf, verschwindet.
Ironisch-gebrochen taucht die Flüchtigkeit von Erinnerungen in den „Reiseberichten eines Rauchers“ von Joachim Scheinfeld auf. Seine Fotos von Menschen und Städten liegen als feine Brom-Silber- Emulsionen auf Zigarettenschachteln aus Polen, Italien und Deutschland. Das Durchdringen unterschiedlicher Zeit- und Wahrnehmungsebenen kehrt wieder in großen Bildern, wo sich fotografische Aufnahmen vergangener Epochen über Wandabnahmen mit Resten von Werbung legen und vermischen.
Direkt einbezogen wird Stadt in den Arbeiten von Barbara Noculak. Ihr „Augen-Transparent“, eine bedruckte, aufs Fensterglas geklebte Folie, stellt unmittelbaren Kontakt zum urbanen Umraum her.
In ihren Fotofolgen, die teilweise auch collagiert oder montiert sind, reflektiert sie das Verhältnis von gebautem und offenem Raum, das Ineinandergreifen von alt und neu, von innen und außen. Ihre Installation „Abschreitung“ besteht aus einem gipsernen Fußpaar und einer vertikalen Bildreihe. Sie dokumentiert auf minimalistisch-einprägsame Weise urbane Spurensuche: die sich im Jahresverlauf ergebenden Veränderungen eines ehemaligen Mauerstreifens am Potsdamer Platz.
Auf den drei großen Farbfotos von Martin Zeller wird Urbanität geradezu denkmalhaft und puristisch beschworen. Einfache Motive, wie große liegende Stahlplatten, eine U-förmige Wandformation oder eine rechteckige Erdgrube, lassen an Bauarbeiten denken. Lange Belichtungszeiten mit glühend-warmen Nachtfarben überführen diese Eindrücke in elementare Momente, die alles Beiläufige und Akzidentielle absorbieren. Der Mensch ist ganz aus dem urbanen Raum verbannt. Michael Nungesser
Galerie HO, Kaulsdorf, Cecilienstraße 222, bis 25. Juli, Di. bis Fr., 12-18, Sa. 10-14 Uhr
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