piwik no script img

■ VorschlagIm Knaack nehmen Bottom 12 Hörgewohnheiten auseinander

Die popmusikalischen Halbwertszeiten werden immer kürzer, weswegen man den einen oder anderen Gimmick ein paar Jahre später wieder auffahren kann, ohne gleich Ärger zu kriegen. Die Sache mit den Bläsern war so eine Sache, denn vor drei, vier Jahren machte eine der diversen Bands, die auf den Namen God hörte, damit von sich reden, daß sie sich, um die Strecke zwischen Lärm und Jazz zu vermessen, der Hilfe des Bleches bedienten. Dieser Versuch aus London rief einige Aufmerksamkeit hervor, blieb dann aber in einer Sackgasse stecken. God gab es damals schon einige Jahre, danach hat man eigentlich nichts mehr von ihnen gehört.

Ihre Entdeckung war wohl vor allem der Tatsache geschuldet, daß damals im Rock verzeifelt nach Auswegen aus der Misere gesucht wurde. Die hat man nie gefunden, also können sich Bottom 12 nun relativ unbemerkt und unbelastet austoben. Zum Einsatz kommen bei den sieben Los Angelinos neben Gitarre, Baß und Schlagzeug dann Trompete, Saxophone, Flöten, Klarinette, und wenn's sein muß, auch mal ein Synthesizer. Geklopft wird außerdem auf Bongos, Ölfässern oder Holzblöcken. Doch während God sehr oft ins Freejazzige abdrifteten, bemühen sich Bottom 12 jederzeit um fast schon klassische Songstrukturen: Das kann ein Blues sein, ein normaler Rocksong, ein Jazz-Thema oder ein schweres Metal-Riff. Darin werden dann Hörgewohnheiten auseinandergenommen, und nicht nur durch die Besetzung: Manches Stück, das ganz harmlos beginnt, dauert dann nur eine Minute, das nächste vielleicht schon eine Viertelstunde. Mal platzt so ein Ding am Ende aus den Nähten, mal mal wird es enervierend stringent zu Ende gespielt. Mal tun die Bläser wie Soul, dann wie Bossa, bevor sie alle Strukturvorgaben vergessen. Dann wird alles nur noch von John Beeloos Stimme zusammengehalten. Die ist nicht allzu ausdrucksstark, was Beeloo selbst weiß. Eigentlich ist er Trommler und wurde von der Band zum Singen verdonnert, „weil zwei Drummer waren wirklich genug“. Er macht das Beste draus, und das ist meist Brüllen, weswegen Bottom 12 allgemein in die Schublade Hardcore abgelegt werden. Zumal Greg Graffin von Bad Religion ihre erste, in vier Tagen eingespielte Platte produzierte. Mit dem Ergebnis waren sie gar nicht einverstanden, die Bläser verschwanden im Hintergrund. Jetzt haben sie sie dahin gepackt, wo sie hingehören – ganz nach vorne.

Unlängst haben sie eine ganze Platte mit Remixen ihrer Songs fertigen lassen: produziert von den Krupps über Alec Empire von Atari Teenage Riot bis zu den Elektronauten, was zeigt, daß sie keine Berührungsängste kennen. Die Bläser mögen ihr Markenzeichen sein, sind schlußendlich aber kaum mehr als eine Klammer für eine Band, die alles versucht. Daran vielleicht auch mal scheitert, aber zumindest wird es mit ihnen nie langweilig. Thomas Winkler

12.8., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen