piwik no script img

■ VorschlagKönig der Trillerpfeifen – Ragga-DJs in der Escobar

Die Single, wir erinnern uns, war eine kleine, flache und schwarze Scheibe, in deren Mitte ein Loch von kurioser Größe sich befand. Seit in der Welt der Tonträger die CD den Vorsitz übernommen hat, überlebt auf einer unweit von Kuba befindlichen Insel eine unbeugsam um die Single kreisende Musikkultur. Der Name der Insel? Jamaika, und die Musik ist der aus dem Reggae hervorgangene, schnellere Ragga. Ragga ist jene Welt, wo äußerst mitteilungsbedürftige Größenwahnsinnige auf samtweiche Crooner treffen, wo respektgebietende Frauenstimmen mit schwerbewaffneten Unholden die schönsten Duette singen, wo der Weg zum Ruhm von strangulierenden Verträgen und Bankrotteuren aller Couleur gesäumt ist. Diese Up-tempo-Version eines Freibeuterkapitalismus bringt es nach Schätzungen hiesiger Experten auf einen monatlichen Ausstoß von 200 Singles. Der seit den späten achtziger Jahren expandiere Kulturexport auf hiesige Plattenspieler ließ auch in Berlin eine entwickelte Szene von DJs und Fans entstehen.

Für den heutigen Abend treffen zwei, die seit Jahren als schwerst Vinylabhängige bekannt sind, aufeinander: Ollie vom Hamburger Silly Walks Soundsystem und Stefan, in Berlin Betreiber eines kombüsenkleinen Plattenladens bei den Yorckbrücken. Silly Walks begannen in Hamburg seit den frühen Neunzigern Aufbauarbeit in Sachen Ragga zu leisten, das Fährschiff nach England half dabei, denn den nach Großbritannien ausgewanderten Jamaikanern folgten die Singles und das in einer Reichhaltigkeit, die es so nirgends auf dem Kontinent gab. Im Zuge der Silly Walks Aktivitäten galt für Hamburg bald der Ruf einer deutschen Reggae- und Ragga-Hauptstadt. Aber Berlin ist auch nicht übel: DJ Stefan, bekannt für sein besonders geschmackssicheres Händchen, galt in Berlin als „König der Trillerpfeifen“: die Tänzer in der Rolle eines mit zig Trillerpfeifen ausgestatteten Schiedsrichters des DJs, und wenn der gut ist, wird es laut, dann ist Ragga nicht allein im Haus. Nils Michaelis

Morgen, ab 22.30 Uhr in der Escobar, Eichenstraße 4, Treptow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen