■ Vorschlag: Heiner Goebbels und das Ensemble Modern mit „Schwarz auf Weiß“
Als das Stück im Frühjahr 1996 uraufgeführt wurde, waren die Feuilletonisten in ganz Deutschland ergriffen. Sprach doch aus dem Off der unlängst verstorbene Heiner Müller: „Du, der Lesende, weilst noch unter den Lebendigen; ich, der Schreibende, aber habe längst meinen Weg ins Reich der Schatten genommen.“ Und in der Tat: Selbst wenn man die damalige kollektive Rührung als übertrieben empfinden mag, so erscheint es auch heute noch schwer, sich der spröden Stimme des Dichters, der damit bewußt werdenden Gegenwart des Todes zu entziehen.
„Schwarz auf Weiß“, Musiktheater von Heiner Goebbels nach einer Parabel von Edgar Allen Poe, wurde weltweit als Requiem für Heiner Müller begriffen – eine Interpretation, die zu dem ungeheuren Erfolg sicher beigetragen hat. Davon unabhängig ist „Schwarz auf Weiß“ aber tatsächlich das Beste, was Goebbels bisher auf die Bühne gebracht hat. Nicht nur, weil das Ensemble Modern darin so ungeheuer professionell agiert, sondern gerade aufgrund der musikalischen Konzeption. Diese erscheint anfänglich recht typisch: Text, gelesen oder von Band eingespielt, weiße Leinwandbahnen, vor denen die Musiker wie Scherenschnitte agieren. Musik, die in geordneter Anarchie die Zeit in Häppchen teilt – kurz, die einfache Addition disparater Elemente zu einem Gesamteindruck.
Plötzlich aber wird die Musik zur Trägerin des Geschehens. Eine Spielerin trägt eine Koto, eine surfbrettgroße asiatische Zither, herein. Sorgsam baut sie Stege unter den Saiten auf und schiebt sich Schutzkappen über die Finger. Im Moment ihrer innigsten Versenkung in den stillen Klang rotten sich hinten auf der Bühne finstere Gestalten zusammen. Grell erleuchtet: ein Posaunenchor. Durch die Macht der lauteren Töne wird die Spielerin von ihrem Instrument vertrieben, dasselbe dann durch eine Kurbel mechanisch angetrieben – eine hörbar gemachte musikalische Annexion. Hier muß kein Text, kein außermusikalisches Drumherum mehr addiert werden: In diesen Hörbildern entsteht aus der Musik heraus eine Szenerie, die spannend und intensiv für sich selber spricht. Christine Hohmeyer
Heute, 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29
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