■ Vorschlag: „Buddy Boldens Blues“ in der Schiller Werkstatt
Die Grundstimmung des Blues ist die Schwermut. Und die kann mitunter auch den Jazzmusiker ereilen, wenn er wie Charles „Buddy“ Bolden – legendärer Kornettist um 1900 und erster aller Jazzer – nach exzessivem Umgang mit Alk, Weib und Musik mit nur 31 Jahren für immer im Wahnsinn zur Ruhe kommt. In „Buddy Boldens Blues“ hat Michael Ondaatje („Der englische Patient“) die Geschichte dieses Absturzes rekonstruiert: Spärliche biographische Fakten, Assoziationen zu Zeit, Milieu und dem Leben im allgemeinen hat er zu einem Roman und dann zu einem Theaterstück vermengt, in dem unterschiedliche Zeit- und Handlungsebenen, rätselhafter Tiefsinn („Wir waren ein Zimmer mit abgestandener Luft“) und dumpfe Derbheiten („der berühmte Ficker“) bunt umeinanderpurzeln.
Klaus-Peter Fischer, der das Stück für das carrousel Theater inszeniert hat, läßt sich auf diese Buntheit ein: Zwischen den rostigen Überbleibseln einer Achterbahn (Bühne: Andrea Eisensee und Martin Fischer) raunt eine Frau bedeutungsvoll: „Er ist verrückt geworden und in der Klapse gestorben.“ Einer spricht über „den besten von allen“, und alle sprechen miteinander, bis man erkennt: Der sanftäugige, ernst dreinblickende Marko Bräutigam ist Buddy Bolden. Aber auch Dietmar Diesner, der Kornett und Sax bläst, daß es einem die Nerven zernagt. Und dann wieder ist keiner von ihnen Buddy, und es wird von den guten alten Zeiten erzählt: Von Boldens einstigem Erfolg, von der Schwiegermutter, deren Schlange die Hochzeitsgäste vertreibt und die dann ein plötzlicher Tod ereilt. Am Anfang sind die slapstickhaften Szenen die besten, weil sie allein die Aufmerksamkeit fokussieren. Dann aber lichtet sich der Nebel und gibt klare Figurenkonstellationen frei: hier Buddy – abgetaucht im Haus seiner Geliebten –, dort Frau und „Freunde“, die wie immer nach ihm suchen. Der Plot gewinnt Konturen, die Aufführung an Rhythmus, und alles zusammen gewinnt an Sinn. Bolden flieht vor den zweifelhaften „Etiketten“ des Ruhms, bis er sich (endgültig) in sich selbst verschließt („ich habe meinem Körper die Berühmtheit entzogen“).
Bräutigam, der mit sympathischer Lässigkeit die Machofigur des „besten Fickers“ vor dem Absturz ins Klischee bewahrt, taucht Boldens endgültigen Absturz in stille Melancholie. Das Chaos spielt sich außerhalb ab. So wird das anfangs störende szenische Durcheinander am Ende als durchaus sinnfälliges Bild einer „wahnsinnigen“ Welterfahrung erkennbar, die wie Boldens Musik aus einzelnen Tönen ohne Melodie besteht. Am Ende zeigt Diesner, daß es auch anders geht. Doch der letzte Ton klingt auch hier wieder schräg im Ohr. Sabine Leucht
Täglich bis zum 7.2., jeweils 19.30 Uhr (und wieder ab dem 25.2.), Schiller Theater Werkstatt, Bismarckstr. 110
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