■ Vorschlag: Zwillinge aus zwei Welten: „Oskar und Jack“ im Babylon
Die Regisseurin Frauke Sandig nennt es ein „seltsames Spiel der Götter“: Sie erzählt in einem Dokumentarfilm die erstaunliche Geschichte von Oskar und Jack. Die Zwillinge kamen 1933 in Trinidad zur Welt, ihre Eltern hatten sich auf einem Auswandererschiff kennengelernt. Kurz nach der Geburt trennten sie sich, die Mutter brachte Oskar ins Sudentenland zu seiner Großmutter, wo er streng nationalsozialistisch erzogen wurde. Der rumänisch-jüdische Vater blieb mit Jack auf der Karibikinsel, um dort in orthodox-jüdischem Glauben zu leben. Vor Frauke Sandigs Kamera erzählen die beiden einander zum Verwechseln ähnlichen Männer von ihren unterschiedlichen Leben. Oskar in Deutsch, Jack in karibischem Englisch.
Als Kinder im Zweiten Weltkrieg geisterte das Wissen um den Bruder immer in ihren Köpfen herum. Oskar befürchtete, daß in einem der amerikanischen Bomber vielleicht der Doppelgänger säße. Auch Jack dachte über den Kampf gegen den deutschen Zwilling nach. Das erste Mal trafen sie sich 1954, als Jack Oskar und die Mutter in Deutschland besuchte. Jack mußte seinen jüdischen Glauben vor dem offen nationalsozialistischen Ehemann der Mutter verbergen. 1979 schlägt Jack Oskar ein weiteres Treffen vor: diesmal als Teilnehmer an einem amerikanischen Zwillingsforschungsprojekt. Von diesen Ereignissen gibt es Super-8-Aufnahmen, die zwischen die Ezählungen montiert sind. Der Kontakt zwischen den beiden Männern wird nun herzlicher, sie sind erstaunt über identische Gewohnheiten, etwa die Vorliebe, Gummibänder als Armreifen zu tragen oder Kugelschreiber mit Heftpflaster zu umkleben, damit man nicht abrutscht. Skurril auch die Vorlieben beider für die gleiche Brillenform und die gleichen Hemden. Bei Oskars Besuch in Trinidad 1995 versuchen sie vorsichtig, sich in Gesprächen ihrer Vergangenheit zu nähern. Dann schweigen sie wieder und gehen lieber gemeinsam rudern. Oskar, der während der Dreharbeiten schon krank war, starb ein Jahr nach der Fertigstellung des Films. Vielleicht fällt es Jack jetzt etwas schwerer, allein zu sein. Jenni Zylka
Babylon Mitte, heute, 19 Uhr (Die Regisseurin ist anwesend)
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