■ Vorschlag: Teppiche aus Mutlosigkeit: Louis Tillett trauert im Huxley's Junior
Es kann ziemlich dauern, bis ein Song von Louis Tillett richtig anfängt. Es gibt sogar welche, die sind schon vorher zu Ende. Dann muß man sie sich noch mal anhören, den ellenlangen Klavierkaskaden folgen, der ebenso vollen wie brüchigen Stimme lauschen und hoffen, den Zug diesmal zu kriegen. Wer dann aufsteigt und sich entführen läßt, braucht kein Wort zu verstehen und versteht doch, daß es auf diesem Planeten höchstens drei Menschen gibt, die genauso verzweifelt sind wie Tillett, und zwei von denen sind bereits tot. Die Ausweglosigkeit des Daseins besingt der klassisch ausgebildete Pianist, während sein Klavierspiel sich immerzu im Kreis zu drehen scheint wie die Maus im Käfig. Ob Tillett mit kompletter Band und kräftigen Bläsern antritt oder allein am Klavier, macht da keinen Unterschied. In jedem Song entwickelt er eine rauschhafte Grundstimmung, die aus fünf Minuten eine epische Ewigkeit werden läßt.
Für seine Plattencover läßt er gerne wenig vorteilhafte Bilder von sich malen, die ihn wahlweise als abgezehrten Asketenmönch oder aufgeschwemmtes Monster zeigen. Die Manie, mit der Tillett immer wieder um die eigene Psyche oder vielmehr das eigene Leiden kreist, wird wohl nur durchs Musikmachen unter Kontrolle gehalten. Manchmal scheint es fast, als hätte sich Horst Janssen mit seinem Tod einfach nur in ein anderes Handwerk verabschiedet.
Auch wenn man es meinen könnte, völlig scheint Tillett soziale Techniken nicht verlernt zu haben. Nach dem Ende seiner ersten Band Wet Taxis spielte er in den 80ern auf jeder zweiten Platte aus Down under, ob nun für die Celibate Rifles, Ed Kuepper, die Beasts of Bourbon oder die New Christs, aus deren Ruinen er sich dann zum großen Teil seine aktuelle Begleitung rekrutierte. Die sind in der Lage, den Klavierereien des Meisters zu folgen, ohne deren fast meditativen Charakter zu zerstören.
So entwickeln sich Teppiche aus Mutlosigkeit, in die man sich weich und wohlig einkuscheln möchte. Das ist Soul und Blues, und vor allem genau das, was Musik hörenswert macht: große, dicke Gefühle, ein Pathos, für das man andere schon gekreuzigt hat und das einfach so in Schönheit stirbt, als wäre die Verwesung allein prachtvoll und nur der Tod wirklich lebenswert. Thomas Winkler
Heute ab 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln
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