■ Vorschlag: Lonely Tamagotchi – im Theater am Halleschen Ufer
„Eins, zwei, drei, vier, fünf“, scheucht Constanza Macras ihre Tänzerinnen. Sie folgen ihr mit schlampiger Eleganz, breitbeinig, hüftwackelnd, sexy. Unter diesen Rhythmus gezwungen, haben sie an diesem Abend schon Deutsch gelernt – „dies ist mein Fahrrad“ –, Freizeit am Strand absolviert, den Haushalt erledigt (Teller abgeleckt). Denn der organisierte Alltag, in dem ein einfaches Sein ohne Definition über eine Beschäftigung nicht vorkommen darf, ist das Thema der argentinischen Choreographin Constanza Macras und ihrer Gruppe Lonely Tamagotchi. Tatsächlich hält man es kaum aus, als die Tänzerinnen sich einmal hinsetzen und bloß ins Publikum schauen. Aber selbst diese Auszeit wird mit der Stoppuhr bemessen.
Der Tanz als Drill, die Wiederholung als Konditionierung: Dies wäre ein sehr trockener Stoff, käme es dabei nicht ständig zu kleinen Rebellionen. Die brave Erfüllung, wie am Schnürchen gezogen, wird schnell zur Karikatur, und hinter dem leichten Verschleifen der Exerzitien ahnt man einen noch schläfrigen Geist des Widerstands. So bezieht Macras Stück „wild switzerland“ seinen Witz von Anfang an aus einer Paradoxie: Den Körper hier und jetzt seiner Einmaligkeit versichern zu wollen und dies mit den immer gleichen Formen.
Einen Höhepunkt der Verschmelzung von vorproduziertem Klischee und fingierter Authentizität markiert der Karaoke-Gesang zu Playback. Macras läßt dazu eine Filmszene rückwärts laufen, wieder und wieder, denn schließlich entstammen die Taylorisierung des Körpers und seine filmische Reproduktion der gleichen Zeit. Denunziert als geistloses Kopieren aber wird dies Ausleihen fremder Rollen nicht. Dafür gehen die Lonely Tamagotchis zu liebevoll mit ihren Figuren um.
Diesem sympathischen Stück war in der Tanzzeit im Theater am Halleschen Ufer eine kurze Choreographie von Alex B. vorgeschaltet, ursprünglich als Solo angelegt und jetzt in zweifacher Besetzung von der jungen Peggy Zieher, Absolventin der Staatlichen Ballettschule Berlin, und der Australierin Celia Brown getanzt. Wie Schülerinnen durch die Turnhalle latschen, gehen beide den Tanz an, spontan und unbegründet in Bewegungen ausbrechend, teils simultan, dann wieder jede für sich.
Doch dies Thematisieren der Entscheidungsprozesse, die auf der Suche nach einer Form durchlaufen werden müssen, blieb etwas in den Anfängen stecken. Katrin Bettina Müller
Theater am Halleschen Ufer, bis 19. April, 21 Uhr
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