■ Vorschlag: Im Hotel Abgrund: Shakespeares „Sturm“ aus Neubrandenburg
Das Kammertheater Neubrandenburg ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Theaterlandschaft. In den 20 Jahren ihres Bestehens mauserte sich die Truppe ehemaliger Puppenspieler zu einer Institution, angesiedelt im weiten Feld zwischen anspruchsvollem Stadttheater und experimenteller freier Gruppe. Illuster die Namen der aus dem entlegensten Winkel Mecklenburgs hervorgegangenen Theater-Enterprisen. Zu ihnen zählt etwa die freie DDR- Truppe Zinnober, deren grüblerisch-ästhetische Revolution nach innen bis heute zum programmatischen Kernbestand der Nachfolgegruppe Theater o.N. wie des Kammertheaters Neubrandenburg gehört. Ab heute jedoch bietet sich für insgesamt fünf Tage die Gelegenheit, den „Sturm“ von Shakespeare in der höchst eigenwilligen Neubrandenburger Version zu erleben.
Eine bunte Schar von Hexen, singenden Geistern und mehr oder weniger feinen Damen und Herren der Gesellschaft gibt sich im Grand Hotel Abgrund die Ehre. Auf drei Ebenen begibt sich ein poetischer, bizarrer Tanz auf dem Vulkan. Der große Zauberteppich stellt Prosperos Insel vor. Rundherum fläzt sich Shakespeares Bagage in einer Art Hotelhalle. Dem Spiel ins Private entstiegen, erinnert man sich hier früherer Abenteuer, von denen der Sturm in ihrer Mitte handelt – oder: Schauspieler beobachten ihre Kollegen bei der Arbeit; wer wollte das so genau wissen? Nur gelegentlich schwappt der Zauber der Insel über den Teppichrand, dann erklimmen die Gesellschaftslöwen und –löwinnen, von Geistern und Hunden gejagt, behende die Wände.
Bühnenbildner und Regisseur Holger Friedrich hat für den steten Wechsel zwischen Spiel und Nicht-mehr-Spiel penibel Sorge getragen, auch die gemischte Besetzung der Rollen – ein Landestheatermime, staatlich geprüfte Puppenspieler, eine Gesangsakrobatin, jugendliche Laien – befördert die spezifische Unschärfe einer changierenden, unerhört entspannten Spielweise. Nikolaus Merck
Heute bis 24.5, 19 Uhr, Sophiensaele, Sophienstraße 18
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