piwik no script img

■ VorschlagEine Sache der Verläßlichkeit: „tango mujer“ tanzen im Podewil

Selten spürt man solche Konzentration. Wer Tango tanzen will, muß einen Teil seines Lebens investieren: Drei Jahre lang habe er jede Woche zweimal trainiert, erzählt ein Herr seinem Nebenmann am Buffet. Als wollten sie zusammen eine Bank knacken, so entschlossen sehen sich die Paare an, die sich vom 14köpfigen Studentenorchester aus Rotterdam auf die Tanzfläche locken lassen. Tango ist vor allem eine Sache der Verläßlichkeit; das macht wohl nicht zuletzt seine Attraktivität aus in Zeiten des unverbindlichen „Hallo“.

Daß diese angespannte Aufmerksamkeit nicht nur in die Zweierbeziehung führen kann, zeigte die erste All-Women Tango Dance Group, die den Tangosommer im Podewil eröffnete. Als sie vor zwei Jahren in New York, wo vier der fünf Tänzerinnen Tango unterrichteten, ihr Programm ankündigten, drückten ihnen die Veranstalter eine kombinierte Show mit anerkannten Tanzpaaren auf, so sehr fürchteten sie einen Aufstand unter den Aficionados. Kann Frauen-Tango nicht nur ein Fake sein wie simulierter Sex, fragten besorgte Traditionalisten.

Die Befürchtungen erwiesen sich als überflüssig. Denn die Tradition ist der Ausgangspunkt der Choreographien, die dann aber geschmeidige Verbindungen zum modern dance herausfinden: Damit brechen sie aus dem engen Kokon der Paarbeziehung, um die im Tango geschulte Sensibilität für ein weiter geflochtenes Beziehungsnetz zu nutzen. Wie sich das Schrittvokabular des Tango in ein ganz anderes Idiom übersetzen läßt, offenbarte ein Solo der Argentinierin Valeria Solomonoff, die auf Schultern und Nacken liegend, ihre Beine über die Wand spazieren ließ. Die größte Transparenz erreichte Rebecca Shulman, eine fast androgyne Tänzerin aus New York: Sie ließ den Tango wie ein in weiter Ferne aufgelesenes Fundstück schillern, in dem man plötzlich Formulierungen entdeckt, die dem heutigen Ausdrucksvermögen fehlen.

An den Schiebe-Tanz der Zillezeit erinnerte die mollige Fabienne Bongard. Mit jener Virtuosität, die dem Amateur schon beim bloßen Zusehen den Schweiß auf die Stirn treibt, führten Brigitte Winkler und Angelika Fischer, die in Berlin das „tanzart“ gegründet haben, die hohe Schule des Tango vor, um dann beiläufig hier und da Stücke herauszubrechen und neu zusammenzusetzen. So beginnt „tango mujer“ wie eine nette Revue und steigert sich langsam zu einem Tanztheater, das nebenbei ein Jahrhundert Beziehungsgeschichten durchquert. Katrin Bettina Müller

„tango mujer“, Podewil, Klosterstr.68, 10179 Berlin, am 23./24./26. und 27. Juni, 20 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen