■ Vorschlag: Tiefer Süden – Die Heimatklänge zum 11. Mal im Tempodrom
Wie schnell man weg sein kann vom Fenster mit Blick auf repräsentative Bauten, konnte unlängst das BKA erleben, wo es jetzt für Strieder und Konsorten heißt: freie Sicht auf alte Schinken. Auch das Tempodrom, Nachbar der Baustelle Kanzleramt, steht auf der roten Liste für bedrohte, unabhängige Kulturpflanzen. Und auch wenn Irene Mössinger nicht inflationär mit Selbstmord droht – so lange die Finanzierung des neuen Tempodroms am Anhalter Bahnhof nicht gesichert ist, hängt ihre Existenz In den Zelten. So beschwor sie die Baugötter und machte (sich) leise Hoffnung auf noch eine Saison im Tiergarten. The Big Borkowsky, Chef de Cuisine bei
den Heimatköchen, nennt sich in diesem Jahr Washington G. Borkowsky Akbar. Den Mann, gern im fliederfarbenen Anzug umtriebig, hält manch einer für den eigentlichen Drahtzieher des Multikultibooms der letzten Jahre. Er geht allerdings davon aus, daß der 10. Heimatklänge- Geburtstag auch die Abschiedsparty am angestammten Platz sein wird. Die Heimatklänge leiden sowieso schon länger unter beengten Verhältnissen. 1988 stand man mit einem Häuflein Enthusiasten vor der kleinen Bühne neben dem Eingang und hörte einen Typen namens Cheb Kader, die Klezmatics oder 3Mustapha3. Damals war West-Berlin Kulturhauptstadt Europas, und das hieß: Kultur-Geld ohne Ende.
Heute muß man 5 Mark Eintritt nehmen und braucht mindestens 100.000 Besucher. So dankbar man Sponsoren sein kann: die LandesBank Berlin zahlt gerade mal 80.000 Mark. Dafür kann sie sieben Wochen lang mit ihrer Großzügigkeit werben. Dabei hatten die Heimatklänge schon 1988 ein Volumen von einer halben Million. Heute sind es nur 200.000 Mark mehr.
Langweilige Zahlen. In diesem Jahr präsentieren Heimatklänge endlich einmal genau das nicht, was viele Leute unter Multikulti verstehen. Man hat die Akzeptanz längst erreicht. Bevor sie zur Penetranz wird, heißt es wieder einmal „Sand ins Getriebe streuen“ (The Big Borkowsky 1990 bei Beat! Apartheid zum neuen Deutschland). Also hat man seine Fühler nach Amerika ausgestreckt, ins südliche Nordamerika. „Tiefer Süden“ heißt das Motto 98.
Rund um die Stadt New Orleans fressen Alligatoren in den Sümpfen gern schlechte Musiker, die hier in Ruhe üben wollen. Übrig bleiben Männer wie Steve Riley & the Mamou Playboys. Denn sie spielen allwöchentlich beim „Fais-Do-Do“, dem Tanztreffen der von französischen Einwanderern abstammenden Cajuns. Steve Riley wuchs auf in dem Örtchen Mamou, einer Brutstätte für Mücken, Mardi gras und Cajun. Mit 15 spielte er Akkordeon, später in der Band von Dewey Balfa machte er eine Umschulung zum Geiger – Quetschkommodisten gab es schon genug. 1988 gründete Riley seine Mamou Playboys, die schnell zu den neuen Helden der Cajun- Modernisierer wurden. „The fastest rising name in Cajun music“ titelte das Off Beat Magazine und wählte das Album „La Toussaint“ 1995 zum besten Cajun-Album des Jahres.
Wer Urlaub für den 5. bis 8. August gebucht hatte, kann die Tickets schon mal wegschmeißen. Lieber ein paar schnelle Tanzschuhe nachkaufen! Zwei Wochen später werden Rockin Dopsie Jr. & The Zydeco Twisters ähnlich wie Riley weitermachen. Während Cajun die Musik der französischsprachigen weißen Einwanderer in Louisiana war, ist Zydeco der Sound der frankophonen African-Americans der gleichen Gegend. Zydeco geht noch mehr los als Cajun. „This is the real thing. When I put the real chocolate flavor down for my audiance, it shreds up all the other zydeco bands“, sagt Dopsie bescheiden. Mit ihm werden die 11. Heimatklänge am 23. August wie eine große Kerze machtvoll ausgeblasen. Aber 1999 und 2000 sind schon verplant, zur Jahrtausendwende geht's um Brasilien.
Zum heutigen Start wird Clarence „Gatemouth“ Brown dem Blues eine Runderneuerung besorgen. In den vierziger Jahren besaß Großmaul Brown die Frechheit, bei einem T-Bone-Walker-Konzert für den plötzlich kranken Meister einzuspringen, der erstaunt vom Klo aus hörte, wie da ein Nobody seine Gitarre traktierte. Für Brown ist der Blues eine Fundgrube, aus der sich immer wieder bunte Merkwürdigkeiten fischen lassen. Für den 74jährigen ist Blues American and World Music – Texas Style. Yippie Yeah. Andreas Becker
Heimatklänge 98 ab heute am Tempodrom, Tiergarten, Mittwoch bis Samstag 21.30 Uhr, So. 16 Uhr, Eintritt 5 DM, Kinder frei. Zusätzlich zur Love Parade: I Love A Parade, 11.7. ab 24 Uhr
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