■ Vorschlag: Fiktion und Werbewelt: Alfrid Kussmauls „Busstop“ im Tiergarten
Für Alfrid Kussmauls „Busstop“ sollte man sich vor allem Zeit mitbringen. Die mobile Haltestelle ist am Großen Weg im Tiergarten kaum zu finden. Aber das mindert selbst an verregneten Tagen nicht die Lust, sich auf die Suche im Park zu machen – schließlich handelt es sich um eine Skulptur mit all ihren Vorzügen. Doch zunächst ist das Werk aus Glas und Stahl von üblichen Bushaltestellen kaum zu unterscheiden, wenn man davon absieht, daß es weder Streckenpläne noch Fahrzeiten zu studieren gibt. Statt dessen kann man sich hier unters Dach setzen, durch Baumwipfel auf die golden schimmernde Siegessäule starren, lesen oder über den modernen Bau nachdenken, ohne daß jemals ein Fahrzeug zu erwarten wäre. Eine zusätzliche Buslinie quer durch den traditionsreichen Tiergarten zu legen wäre wahrscheinlich als Konzept bei keinem Kunstamt durchgekommen.
„Man ist aufgefordert, zu überdenken, noch einmal zu verstehen“, sagt der in Berlin lebende, 1972 geborene litauische Künstler über sein Readymade. Dabei ist augenscheinlich, wie sehr solche Projekte von der Anbindung an Werbung und Sponsoring abhängen – und wie sehr sich Kussmaul auf diese Unterstützung eingelassen hat. Er überzieht seine Arbeit regelrecht mit bunten Bildern, nüchternen Logos und den Slogans von Jeansherstellern. Da ist ein junges Paar, das sich, in hübsche Hosen gekleidet, fassungslos anlächelt. Die Blicke verraten etwas von der Zeitlosigkeit einer Liebe im Wohlstand. Ähnlich kurios wirkt ein anderes Plakat auf der Außenwand der Skulptur: Man sieht eine Dame, die sich mit Armen und Beinen um einen lebensgroßen Flakon mit „Eau de Toilette“ klammert, als wäre es ihr letzter Halt in einer Modelkarriere.
Freilich hat das Bezirksamt Tiergarten, das die Arbeit im Park genehmigt hat, Kussmauls Projekt auch im Hinblick auf das weit größere Kultur-Event vom letzten Wochenende ausgewählt. So konnte man während der Love Parade neben der Frage nach genügend sanitären Anlagen im öffentlichen Raum auch über Kunst nachdenken, die sich in diesem Fall ja sogar im gleichen Freiraum bewegt wie das Techno-Ereignis. Weiter so! Normann Lindner
Bis 17.7., im Tiergarten, Großer Weg
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