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■ VorschlagSchrecken des Wartens: Die Gruppe MS Schrittmacher tanzt im Dock 11

Es kracht. Der kleine Tänzer, der eben voller Wut hoch gegen die Wand gesprungen ist, liegt zerschmettert am Boden. Oder fast. Er wird an diesem Abend noch oft im plötzlich blendenden Licht lang hinschlagen, sich im Sand wälzen, den andern unter die Füße geraten und den Kopf in einen Eimer Wasser stecken. Die Zuschauer zucken ein bißchen zusammen und wundern sich: Woher dieses selbstzerstörerische Rasen kommt, ist nur dunkel zu erahnen.

Um „Kairos“, den Augenblick der Entscheidung, geht es dem Choreographen Martin Stiefermann in dem Stück „Wie Sand am Meer“, der ersten Produktion seiner neu gegründeten Gruppe MS Schrittmacher. Wiederholte Sequenzen des Wartens, in denen Aliksey Schoettle, Andreas Jakob Etter und Christian Schwaan auf ihren Schaukeln am anderen Ende des Raums sitzen, strukturieren die 90 Minuten und lassen die von der Musik Jan Puschs ständig neu aufgebaute Spannung ins Leere stürzen. Ein feiner Sandregen, der irgendwann aus Eimern über der Bühne einsetzt und nicht mehr endet, verleiht der Zeit Dauer. Ein Schwert, das knapp vor den Zuschauern in der ersten Reihe des Dock 11 herabstürzt, markiert den unerwarteten Augenblick, der vorbei ist, ehe man sich seiner bewußt wird.

Die Tanzbilder dazwischen beschreiben Zustände am Rande des Wartens, der Unsicherheit und der Angst vor Fehlern. Oft ist es ein stilisierter Wettlauf zwischen drei Kandidaten, die sich auf etwas vorbereiten, was nie eintritt. In einem der schönsten Tänze jagt Aliksey Schoettle einem huschenden Lichtfleck nach, ein andermal wandert die Unruhe durch ihren Körper, der ihr überall nicht mehr paßt wie ein falsches Kleid.

Doch so ganz paßt das Patchwork aus symbolischen Aktionen und eleganten Bewegungsabläufen der drei Tänzer, die mit Stiefermann schon am Ballett in Kiel zusammengearbeitet haben, nicht zusammen. Die Zustandsbeschreibungen verlieren irgendwo im ewig Menschlichen an Genauigkeit und werden schließlich zu einem bloßen Musterkatalog möglicher Emotionen. Die Stimmung der Erwartung, die hoch ansetzt, bekommt nie genug Boden unter den Füßen. So bleibt es bei schönen Bildern. Katrin Bettina Müller

„Wie Sand am Meer“, Dock 11, Kastanienallee 79, 10435 Berlin, bis 2. August, 20.30 Uhr.

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