: Vormoderne grüne und rote Schrebergärtner
betr.: „Die letzte Predigt“, taz vom 1. 9. 99
Im Kern hat Frau Dribbusch Recht. Aber warum sagt sie nicht, wo man die Argumente seit 10 Jahren findet? Jahr für Jahr werden sie präsentiert im „Bericht über die Menschliche Entwicklung“ des UNDP (seit 1994 auch in deutscher Sprache: UNO-Verlag, Bonn). In verständlicher Sprache werden dort die sozialpolitischen, ökologischen, finanz- und wachstumspolitischen Probleme der Globalisierung unter der Fragestellung diskutiert, wie der laufenden neoliberalen „beggar-neighbour“-Globalisierung mittel- und langfristig vielleicht doch ein „menschliches Antlitz“ gegeben werden könnte. Die Argumentation gründet auf Daten der Weltbank, des IWF, der verschiedenen UNO-Sonderorganisationen und der universitären Forschung.
Im diesjährigen Bericht wird zum 10. Mal die wachsende weltweite Einkommens- und Vermögenspolarisierung in der Welt und in vielen einzelnen armen und reichen Ländern statistisch beschrieben, so z. B. der Hinweis, dass 1960 die 20 Prozent der Weltbevölkerung in den reichsten Ländern über ein 30-mal so hohes Einkommen wie die ärmsten 20 Prozent verfügten, und dass sich diese Schere bis 1997 auf das 74fache geöffnet hat, die Vermögenswerte der 200 reichsten Personen der Welt (davon leben 65 in den USA, 55 in Europa) von einem Gesamtwert von 440 Milliarden Dollar im Jahr 1994 auf 1.042 Milliarden Dollar im Jahr 1998 anwuchsen und damit das jährliche Gesamteinkommen von 41 Prozent der Weltbevölkerung überstiegen.
Und dann – Schröder, Blair und alle anderen Schrebergärtner der Grünen und Roten, aufgepasst! – fordert der Bericht eine jährliche Vermögenssteuer von 1 Prozent für diesen Personenkreis (was im globalisierten Kapitalismus natürlich nur als Weltsteuer realisierbar wäre). Und trotz derartiger Vorschläge kann man den Bericht nicht in die Ecke naiver Prediger und Rhetoriker stellen; die Autoren plädieren durchgehend als technokratische Vordenker einer „Sozialen globalisierten Marktwirtschaft“, aber schon das ist ja für die heutige Mitte des politischen Spektrums systemwidrig, weil sie der altmodischen vormodernen Variante des Liberalismus auf den Leim gegangen sind.
Prof. Jens Naumann, Münster
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