■ Vorlesungskritik: Zuungunsten der Autopflege
Eigentlich wollte Gert Mattenklott ein Plädoyer „Zugunsten der Müßigen“ halten. Der Literaturwissenschaftler, ausgewiesener Spezialist auf dem Gebiet der literarischen Langeweile, hatte sich vorgenommen, die der FU- Ringvorlesung „Leben als Arbeit“ zugrundeliegende These von der Arbeit als Grundmuster der Lebensführung zu widerlegen. Das gelang dem mit nervöser Hyperaktivität geschlagenen Mattenklott nicht, der neben rund zweihundert wissenschaftlichen Aufsätzen zwölf Bücher veröffentlichte. Schon die wenigen Minuten vom Vortragsende bis zum Diskussionsbeginn überstand er nicht, ohne unruhig an seinen Unterlagen herumzunesteln. „Müßtest du deinen Titel nicht ändern?“ fragte schließlich der Soziologe Dietmar Kamper und schlug als Alternative „Zuungunsten der Müßigen“ vor.
Freilich hatte Mattenklott mit Ernst Jüngers „Arbeiter“ den denkbar ungünstigsten Ausgangspunkt für eine Hymne auf den Müßiggang gewählt. Jüngers Ethik totaler Arbeit in heroischer Pflichterfüllung blockiere die „vita contemplativa“ als Ausflucht. „Je zynischer, spartanischer, preußischer oder bolschewistischer das Leben geführt wird, desto besser wird es sein“, schrieb Jünger. Eine solche Position, fuhr Mattenklott fort, sei aber in einer Zeit wenig „realitätstüchtig“, in der die Mangelware Arbeit, wenn überhaupt, nur um den Preis der ökologischen Katastrophe zu garantieren sei. Umfragen zeigten aber, daß die Bundesbürger diese Perspektive keinesfalls als Anbruch eines goldenen Zeitalters empfänden. Vielmehr sei der Stellenwert von Arbeitszeit und Freizeit gleich hoch, wobei letztere vorzugsweise mit „Gartenarbeit und Autopflege“ ausgefüllt werde.
Die Gegenpositionen sind so alt wie die bürgerliche Gesellschaft, die den Kult der Arbeit in den Rang allgemeiner Verbindlichkeit erhob. Mattenklott begann mit Nietzsche, von dem er den Titel seines Vortrags übernommen hatte. In den 20er Jahren habe dann mit Fritz Klatt ein Vertreter der Jugendbewegung für die „schöpferische Pause“ plädiert, im Rhythmus des Pulsschlags, der Gezeiten und der Sexualität. „Geht die Aufklärung in den Gärungen des Geschlechts zugrunde?“ fragte Mattenklott rhetorisch und hatte die Antwort sogleich parat. Es führe „kein Weg zurück in den vorkulturellen Atavismus“, vielmehr gehe es um die „technische Herstellung eines technikfreien Lebens“.
Daß das „Faustische“ erst neuzeitlich sei und die Totalität menschlicher Lebenskräfte sich nur durch Besinnung herstelle, wußte auch Erich Rothacker in seiner „Kulturanthropologie“ und stand damit Goethes Naturphilosophie nahe. Herrschende Lehre war das freilich nie. Von Schopenhauer und Kierkegaard bis Wilde und Hofmannsthal galt es als ausgemacht, daß der Müßiggang aller Laster Anfang sei.
„Arbeit macht nicht reich, aber bucklig“, begründete Mattenklott mit Hilfe eines russischen Sprichworts, warum er sich damit noch nicht zufriedengeben mochte. Einen Ausweg fand er schließlich in Josef Piepers Buch „Muße und Kult“. Allein das Fest als kultische Feier sei allem pragmatischen Gebrauch entzogen, verwies Mattenklott auf Christos Verhüllung, bei der er „Elemente einer Mußekultur“ ausmachte.
Eigentlich habe sie in der Ringvorlesung erfahren wollen, „was ich machen soll“, bemerkte eine arbeitslose Hörerin enttäuscht. Da wußte auch Mattenklott nicht mehr weiter und murmelte zögernd etwas vom Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ralph Bollmann
wird fortgesetzt
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