■ Vorlesungskritik: Ergraute Jugend
Nicht nur Manager, sondern auch Politiker sprechen gerne von ihrer Philosophie. „Das ist die Grundphilosophie, mit der wir an die Themen herangehen“, faßte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen vor den verblüfften Hochschulrektoren seinen inhaltsarmen Vortrag zusammen. Doch die Philosophen schlagen zurück: Wenn sich Hinz und Kunz über Philosophie verbreiten, dann lassen sie sich eben auch über Gott und die Welt aus.
Wilhelm Vossenkuhl aus München macht das schon lange: Fachlich ausgewiesen mit Arbeiten zur Sprechakt- und Erkenntnistheorie, hält der Ockham- und Wittgenstein-Experte nebenbei Vorträge über Design, streitet mit Strauß- Tochter Monika Hohlmeier über „Werteordnung und Wertewandel“ oder schreibt zu Timm Rauterts und Ulrich Becks fotografisch-soziologischen Ausflügen in unsere unbekannte Gesellschaft ein Nachwort.
Ein bevorzugtes Ziel seiner gedanklichen Ausflüge ist schon seit Jahrzehnten die Hochschulpolitik. Kein Wunder also, daß ihn die Hochschulrektoren als Festredner für ihre Jahresversammlung engagierten. Was sie zu hören bekamen, klang jedoch wenig schmeichelhaft. Nicht allein sozial, politisch und wirtschaftlich sieht Vossenkuhl die deutschen Universitäten isoliert, sondern auch international – und das vor allem wegen ihres überalterten Personals.
Auf stolze 52,2 Jahre könne der durchschnittliche deutsche Professor zurückblicken, während seine britischen Kollegen im statistischen Mittel nur 40 Jahre zählten. Welch ein Glück, daß Vossenkuhl in Deutschland lehrt: In England zählte der Ende 1945 geborene Philosoph schon zum alten Eisen. In der Runde der ergrauten Rektoren und Präsidenten dagegen ist er eine ausgesprochen jugendliche Erscheinung: sorgfältig in Wellen gelegte schwarze Haare, randlose Brille, modischer Anzug. So also sieht Deutschlands akademische Jugend aus.
Im internationalen Wettbewerb, weiß Vossenkuhl, ist das fatal: Die jahrzehntelange Durststrecke bis zur Professur muten sich vor allem Leute zu, die mangels Praxistauglichkeit außerhalb der Universität keine Chance haben. Erweisen sie sich mit Mitte Vierzig als wissenschaftlich wenig brillant, stehen sie vor dem Nichts – oder sie erhalten trotzdem eine Stelle. Das eine schadet ihnen selbst, das andere ruiniert die Universitäten. Deshalb will Vossenkuhl die Habilitation vereinfachen, dem Nachwuchs bereits nach einer aufgewerteten Promotion selbständige Lehre und Forschung ermöglichen.
Das Plädoyer für flachere akademische Hierarchien stammt freilich aus dem Munde eines traditionellen Ordinarius: An seinem Lehrstuhl steht Vossenkuhl zwei außerplanmäßigen Professoren, zwei Oberassistenten, drei wissenschaftlichen Mitarbeitern, einem wissenschaftlichen Assistenten und acht Lehrbeauftragten vor. Ralph Bollmann
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