Vorlauf: Patenschaften in Plati
■ "Phantom der Mafia", 21 Uhr, West 3
Wer erinnert sich nicht an jenes Ohr des Milliardärs-Enkels und Hippie-Freaks Paul Getty III? Seine italienischen Kidnapper hatten es ihm kurzerhand abgeschnitten, um ihren Lösegeldforderungen Nachdruck zu verleihen und das Herz des geizigen Opas zu erweichen. Die Hintermänner dieses Coups wurden in Mafia-Kreisen vermutet, und die Fäden der Entführung liefen in einem calabrischen Dorf namens Plati zusammen.
Der „Fall Getty“ war zweifellos die bisher spektakulärste, aber bei weitem nicht die einzige Entführung, an der die Bewohner dieses tristen Landstrichs beteiligt waren. Eine von Gott und der Welt verlassene Ödnis an der Südspitze Italiens, die mehr noch als Sizilien als Mafia- Hochburg gilt. Im Zentrum Plati, das „verrufenste Dorf Italiens“. Ein Nest mit 3.600 Einwohnern. Jeder sechste ist vorbestraft, und fast jede Familie darf mindestens einen Angehörigen regelmäßig im Gefängnis besuchen. Auf der „Straße des Lösegeldes“ am Ortsrand wurden bisher schätzungsweise 60 Millionen Mark erpreßt, eine kommunale Verwaltung gibt es nicht, nachdem die letzten beiden Bürgermeister unsanft aus ihren Amtssesseln ins Jenseits befördert wurden. Zustände, gegen die das Chicago eines Al Capone wie Nachbars Schrebergarten anmutet. Aber Plati, das sind auch von römischen Politikern schulterzuckend zur Kenntnis genommene 70 Prozent Arbeitslosigkeit und verwegen dreinblickende Männer, die sich zwar regelmäßig als Handlanger der Mafia verdingen, aber letztlich „arme Schweine“ bleiben, weil sich das große Geld ein paar Familien-Clans unter den Nagel reißen.
Die Journalistin Luzia Braun hat sich in den verrufenen Ort gewagt und ist — was Wunder? — zunächst auf eisiges Schweigen oder wenig überzeugende Auskünfte gestoßen. „Mafia? Nie gehört, alles Verleumdung.“
Aber es geht der Filmemacherin auch nicht um die Enttarnung der Täter. Statt dessen versucht sie ebenso geduldig wie hartnäckig die sozialen Hintergründe jenes dubiosen Phänomens „Mafia“ zumindest ein Stück weit zu erhellen. Und abgesehen von der Verwendung einer arg spekulativ dräuenden Hintergrund-Musik gelingt ihr das auf wohltuend unspektakuläre Art. Man erfährt mehr als bei fünfzig Folgen an der Hand von Michele-„Allein gegen die Mafia“-Placido, und wenn man sich vorstellt, mit wieviel Action und Leichen gewisse explosive Nachrichten-Verkäufer das Sujet wahrscheinlich aufgemotzt hätten... „Mehr Morde nach der Werbung. Bleiben Sie dran!“ Reinhard Lüke
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