■ Vorlauf: Lebensrettung im Akkord
„Chirurg im Dauerstreß. 32 Stunden in einer deutschen Klinik“. 21.55 Uhr, ARD
Am Ende ist er ziemlich blaß um die Nase. Wäre wohl jeder, der einen Tag und eine Nacht und einen weiteren Tag durchgearbeitet hat – und dazwischen gerade mal eine Stunde schlafen konnte. Für ihre NDR-Dokumentation über den Streßalltag eines Chirurgen haben Dörte Schipper und Gregor Petersen einen Arzt des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek in Hamburg während dieses 32-Stunden-Marathons begleitet.
Seit Januar 1996 gilt ein Gesetz, das Krankenhausärzte eigentlich entlasten soll: Ihrem normalen Tagesdienst darf maximal eine nächtliche Bereitschaft folgen, der Anschluß einer weiteren Tagesschicht ist nicht erlaubt. Doch der Spardruck zwingt zum Durcharbeiten – und damit zum Rechtsbruch.
Tagesbesprechung, Operieren, Verbinden, Formulare ausfüllen, Unfallopfer versorgen, erklären, beruhigen, Brüche schienen, Fingerkuppen annähen: Die Anforderungen des chirurgischen Alltags sind ein Wechselbad aus routinierter Technik und psychologischer Flexibilität, Schnelligkeit und Gelassenheit. Der Film registriert diese Zumutungen strikt aus der naturgemäß etwas ängstlichen Patientenperspektive. Wie soll all das eigentlich leistbar sein? Im Verlauf des Films schwindet jedoch die Beunruhigung, ob ein Arzt nach 24 Stunden Dienst nicht mal daneben schneidet – und verwandelt sich in Sorge um ihn.
Mit den derzeit populären Arzt- und Krankenhausserien hat diese Realität nichts zu tun. Für Unterhaltungswert sorgen in diesem Film allein die Patienten. Den Autoren ist es gelungen, die Atmosphäre der diversen Arbeitsbereiche differenziert einzufangen: die nächtliche Unfallambulanz, der OP, der Papierkrieg. Angenehm beiläufig glückt ihnen die Balance zwischen diskreter Begleitung und größtmöglicher Nähe. Am Ende sind sie selbst ein wenig unempfindlicher geworden, ihre Bilder drastischer. Und müde. „Wollen Sie noch ein paar Verbände filmen?“ fragt der Chirurg nach 32 Stunden. „Och, nö.“Barbara Häusler
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