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■ VorlaufZiemlich auf Draht

„Die Seiltänzer“, So., 21.15 Uhr, 3sat

Spätestens mit ihrem mißglückten Auftritt zur Weltklimakonferenz 1995 wurden die Hochseilartisten der Familie Traber berühmt. Sie hatten das Seil hoch über dem Berliner Alexanderplatz aufgespannt, wo ihr waghalsiges Unternehmen bei eisigem Wind nicht weniger symbolisieren sollte als die weltweite Gefährdung der Natur. Der Artist fiel, aber er stürzte nicht in die Tiefe. Dramatischer hätten es die Veranstalter nicht bestellen können.

Trabers „Hochseilinszenierungen“, wie die Firmenbezeichnung heißt, kann man auch für weniger symbolträchtige Veranstaltungen engagieren. Die Artisten kennen die Rummelplätze dieser Welt. Früher einmal waren sie die Attraktion des Jahrmarkts, als dieser noch so etwas wie Welttheater bedeutete. Nichts zeigt dies deutlicher als die Familiensaga der Trabers.

Seit Jahrhunderten geht die Familie aufs Seil. Ihre Chronik reicht zurück in das Jahr 1512, wo erstmals urkundlich eine Auftrittsgenehmigung erteilt worden war. Die Reportage über die Trabers erkundet die tiefe Verwurzelung der Familie in der Artistik und die Verpflichtung der einzelnen gegenüber der Familientradition. Es gibt kaum einen Traber-Nachfahren, der kein Artist ist.

Die Trabers konnten zwar durch die deutsche Mauer, aber nicht von ihrer Seilkunst getrennt werden. Nach 1989 mußte mühsam eine Familienvereinigung betrieben werden. Es gab plötzlich zwei Artistikunternehmen mit dem Namen Traber. Sie arbeiteten mit unterschiedlicher Risikologistik, aber in derselben Tradition. Im Film kommen die Artisten mit ihren Einstellungen zu ihrem ungewöhnlichen Beruf zu Wort. Ein menschelndes Feature also, mit ein wenig Nervenkitzel. So wird es in den Exposés der Fernsehleute gestanden haben. Dann weitete sich das eher bedächtige Fernsehstück zur Reality-Show aus. Bei einer Veranstaltung in Baden-Baden stürzte der Artist Lutz Schreyer vom Seil und starb noch am Unfallort. Der Film wurde so zu einem bewegenden Dokument, das den schrecklichen Zwischenfall beinahe unspektakulär aufnimmt.

Harry Nutt

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