piwik no script img

■ VorlaufEinstündiger Terrortrack

„Dial History“, 0.45 Uhr, Arte

1965 wird ein ungarisches Flugzeug entführt. Es landet auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Das 20. Jahrhundert hat ein neues Verbrechen, und die US-amerikanische Presse freut sich über ein neues Wort: „Hijacking“. 1969 fliegt dann zum ersten Mal ein gekapertes Flugzeug über den Atlantik, ein Jahr später überträgt das Fernsehen eine Entführung live.

Das war vor 20 Jahren. Jetzt ist es höchste Zeit, daß man mit diesen Verbrechen etwas Ordentliches anfängt. Z. B. einen Film darüber dreht. Das hat der Belgier Johan Grimonprez gemacht: „Dial History“. Das Video wurde als Installation bereits auf der Dokumenta X und im Centre Pompidou gezeigt, und jetzt läuft es im Fernsehen. Auf Arte und ganz spät, klar, wo wäre auch sonst noch Platz für eine gute Stunde Kunst. Beziehungsweise für eine gute Stunde Paranoia.

Denn „Dial History“ ist natürlich Paranoia pur. Johan Grimonprez – von dem man leider gar nichts weiß – hat mit zwei Videorecordern und einem Schneidetisch die Geschichte des 20. Jahrhunderts neu abgemischt: als Terrortrack. Lenin und Stalin, Fidel Castro und Jassir Arafat, die Sprengköpfe des Jahrhunderts, werden lächelnd zwischen die hysterischen Momentaufnahmen von den Rollfeldern und Abflughallen geschnitten: „Wie haben Sie sich gefühlt, als...“ Dazu gibt es Daten- und Bildmaterial aus Lockerbie, Mogadischu oder vom iranischen Airbus, der 1986 aus Versehen über dem Persischen Golf abgeschossen wurde: PanAm, RAF und U.S. Airforce machen Geschichte. Oder so: „Some people make bombs. Some people make phonecalls“, wird Verschwörungsautor Don DeLillo auf der Tonspur zitiert.

Das war's. Es gibt keine besondere Pointe in „Dial History“. Es wird einfach nur jedes Bild dem Wahnsystem „Hijacking“ untergeordnet: Schnitt für Schnitt, from Flugzeugentführung to Flugzeugentführung. Und das funktioniert. Zum Schluß glaubt man alles, was man sieht. Wie in der „Tagesschau“. Kolja Mensing

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen