■ Vorlauf: Alle haben Angst
„Tatort: Kinder der Gewalt“ (So., 20.15 Uhr, ARD)
Schlagringe im Ranzen, Koks im Sportzeug, und auf dem Schulklo fällt ein Schuß. Ein Schuß? Der kleine Jürgen liegt jedenfalls tot auf den Fliesen. Niemand hat etwas gesehen. Türken-Kids und deutsche hauen sich, während Lehrer dazu hastig „Guten Morgen“ wünschen. Alle haben Angst. Übertrieben? Das letzte Mal saß unsereins vor 20 Jahren auf einer Schulbank. Man muß die tatsächliche Gewalt an der Schule nicht kennen, um zu ihrer medialen Vermittlung eine Meinung zu haben. Das ist tatsächlich zweierlei.
Die Requisiten für die üblichen Verdächtigen liegen auf unterster Dechiffrierebene: Hip Hop hört der Gangsterkönig, und der röhrende Elch hängt über dem Sofa des prügelnden Vaters. Soviel unverfrorenes Kausalitätsgehabe ärgert zunächst. Gewalt erzeugt Gewalt, lautet eine der Thesen von Ben Verbongs „Tatort“. Eine andere These wird dahingeseufzt: „Jaja, die Eltern haben zu wenig Zeit für die Kinder!“ Nun: Unsere Eltern hatten noch weniger Zeit: Sechs-Tage-Woche, Aufbau-Einsätze, Drei-Schicht-System. Dennoch hat unsereins nicht die Kriminellenlaufbahn erwählt. Der auch in diesem „Tatort“ praktizierte Erklärungsansatz aus Ursache – Wirkung – Pädagogik und gescheiterter Mulitkulti-Utopie hat als nächste Ausfahrt nur noch mit dem Sozialdarwinismus aufzuwarten. Tobias wird von seinem gräßlichen, ungebildeten Vater tyrannisiert – schreckliche Eltern gleich schlimme Kinder?
Zum Glück besitzt dieser „Tatort“ jedoch ein Etwas, das über den sozialpädagogischen Milieu-Ansatz hinausweist: Einsicht, ja sogar Demut ohne Worte nämlich. Eine große Müdigkeit liegt in diesem Status quo, gegen den das Ermittlerpaar (sehr gut: Klaus J. Behrendt/Dietmar Bär) teils mühselig, halb naiv und halb verbittert anstrampelt. Passanten ignorieren ein zusammengeschlagenes Kind; Lehrer haben aufgegeben. Das alles wird mit keinem Wort gerichtet, nur wie nebenbei eingeblendet. Tragik geht hier vor Didaktik. Die Kinderdarsteller sind großartig. Die Kinder, die sie spielen, wird unsereins solange nicht begreifen, wie man sie mit dem Kind vergleicht, das man vor 30 Jahren war. Die Kölner Ermittler wenigstens machen diesen Fehler nicht. Anke Westphal
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