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■ VorlaufDenken erlaubt

„Ein einzelner Mord“, 23 Uhr, ARD

Jeder meint sie zu kennen. Dennoch provozieren sie immer aufs neue die Frage nach dem Warum: die Aussagen und Ausflüchte von NS-Offizieren, SSlern und Wehrmachtssoldaten.

Am Anfang des neuen Fernsehfilms des renommierten Bremer Autors und Regisseurs Karl Fruchtmann rieselt die Erde: Anton Reinhardt (David Cesmeci) schaufelt sein eigenes Grab. Warum? Weil der 17jährige „Zigeuner“ ist und am Karfreitag 1945, fünf Wochen vor Kriegsende, nach einem geselligen Beisammensein von Angehörigen der Volkssturmeinheit zum Tode verurteilt wird. In einem Waldstück tötet ihn SS-Hauptsturmführer Karl Hauger, ein früherer Jäger, per Genickschuß. Ein einzelner, ein rassistischer Mord, stellvertretend für Millionen andere.

Ähnlich wie in seinem letzten Fernsehspiel „Die Grube“ rekonstruiert Fruchtmann auch diesmal aus 4.000 Seiten Zeugenaussagen und Verhörprotokollen die letzten zwei Tage Reinhardts. Er hat die Aktendeckel und damit das Grab Reinhardts gelüftet und dem 17jährigen ein Denkmal gesetzt, das keinen Schlußstrich zieht, sondern Wahrhaftigkeit präsentiert. Sagt Fruchtmann. Und in der Tat blickt man den Wahrheiten ins Gesicht: dem nach wie vor pflichterfüllten Hauger (Christian Doermer), dem um Erklärung ringenden Kommandeur Franz Hindenburg Wipfler (August Schmölzer), der Verzweiflung Antons, dem versteinerten Leid seiner Mutter Elvira Bühler (Monica Bleibtreu). In Zivil sitzen sie vor einer weißen Wand, die rückblickend Licht ins Dunkel der Taten und Erinnerungsstörungen bringen soll – eine beeindruckende Montage aus Aussagen, Empfindungen und Spielfilmszenen.

Demgegenüber wirken die Filmfragmente oft kalt und künstlich. Fruchtmann zwingt zum Zuhören, gibt Raum für eigene Bilder. Und dennoch schnappt man nach dem Film nach Luft und fragt sich, wen er erreichen wird. „Den denkenden Zuschauer“, sagt der 84jährige Fruchtmann, denjenigen, der fragt, „was gestern und heute geschehen ist.“ Beate Hinkel

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