■ Vorlauf: Doppelt pathetisch
„Vollmondnacht der Poesie“, 0.10 Uhr, Arte
Eine badende Frau liest „Die Geschichte des Auges“ von Georges Bataille. Die erotischen Phantasien des Autors animieren sie zu Tagträumen. Da wird gevögelt, da rinnen Körperflüssigkeiten, und irgendwo dort draußen scheint der Mond. Uuhhh.
„Die Geschichte des Auges“ ist einer von sieben Kurzfilmen in dieser „Vollmondnacht der Poesie“. Wer sonst nichts vorhat, mag sich an ihren mühsam zusammengeschnipselten Kunstbildern erfreuen. Die Fragen, ob es sich dabei um angemessene Verfilmungen der Dichtkunst handelt und was von dieser überhaupt zu halten ist, werden dabei aber bestimmt nicht beantwortet. Was man nach sieben Filmen immerhin weiß: Tiefschürfende Gedichte werden banal, wenn man sie erst mal vor der Kamera spricht. Text- und Bildlyrik zum Thema Leben, Liebe, Tod sind im Verbund doppelt pathetisch und damit schwer zu ertragen. Da hilft dann nur der Griff zur Lautstärketaste. Wenn aber wie in Robert Cahens „Schwimmende Körper“ die Sätze des japanischen Schriftstellers Natsume Soseki untertitelt werden, kann man sich um (sicherlich wohlgemeinte) Weisheiten wie „Wenn das Leben schwer ist, entsteht Literatur“ nicht mehr drücken.
Aus dem Rahmen der gehobenen Vollmondunterhaltung fällt Mark Pellingtons unterhaltsamer Beitrag „Die Vereinigten Staaten der Poesie“. Der 1995 entstandene Film dokumentiert das Schaffen unterschiedlicher Dichter in den USA. Pellington begegnet den Poeten als Reporter. Unprätentiös präsentiert er Prediger, die von der Allgewalt Gottes fabulieren; böse Jungs, die ihre Slam-Poetry vortragen; den Rassismus beklagende Schwarze; einen Countrysänger, der über die Mühsal der Viehzucht trällert. Und all das ohne fliegende Fische, zerplatzendeMonde oder tropfende Geschlechtsteile - wie in dem spanischen Surrealistenverschnitt „Reise zum Mond“, mit dem die Vollmondnacht so unheilvoll beginnt. Am Ende von Pellingtons Film kräht der Hahn, und die Soldaten singen im bekannten Drill-Stakkato. Yeah. Carsten Otte
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