: Vorlauf: Trauriger Rekord
■ "Kanada Ein Paradies verkommt", ARD, 20.15 Uhr
Der Himmel ist so blau, so blau, und das Meer ebenfalls. Ein Indianer stemmt mit dem Hohleisen ein Kanu aus dem frisch gefällten Baumstamm, ein Fischkutter bringt einen reichen Fang ein. „Island of the Giants“ trug Captain James Cook in sein Logbuch ein, als er die gewaltigen Bäume von Vancouver Island vor seinen Augen auftauchen sah. Die kanadische Westküste gilt auch heute noch als Bilderbuchidylle. Elche und Bären fühlen sich in den dichten Wäldern heimisch, und über den Wipfeln kreist der bedrohte Weißkopfseeadler.
Wie immer, wenn sich jemand anschickt, eine heile Welt zu demontieren, sperren sich zunächst die Bilder gegen dieses Vorhaben. Die Natur wirkt zu intakt, die Seen zu klar, das Panorama zu paradiesisch, als daß man den Worten des ARD-Korrespndenten Hans-Gerd Wiegand, das Wasser sei mit Dioxinen verseucht und die Wälder vom Raubbau bedroht, Glauben schenken mag. Aber dann folgen Bilder, die man zunächst woanders einordnet. Kreischende Motorsägen, fallende Baumriesen im Minutentakt, brennendes Unterholz. Doch der hemmungslose Holzeinschlag findet nicht am Amazonas statt, hier sind kanadische Holzfäller am Werk — gründlicher und technisierter noch als ihre brasilianischen Kollegen. Kanada profitiert vom internationalen Boykott der Tropenhölzer und konnte im vergangenen Jahr traumhafte Umsatzrekorde verzeichnen. Die Rettung des Regenwaldes geschieht auf Kosten des kanadischen Küstenwaldes — ein trauriger Zusammenhang. Hans-Gerd Wiegands Film nimmt Abschied von der Illusion, daß die katastrophalen Auswirkungen des Raubbaus an der Natur inzwischen die Chefetagen der Holzindustrie erreicht haben könnte. Die Gegenwehr der Indianer, die mit Straßenblockaden weiteren Kahlschlag verhindern wollen, und die Resignation der Fischer, die sich damit abgefunden haben, daß die Zelluloseabfälle der Sägewerke ihre Fischgründe mit Dioxin vergiften, dokumentiert Wiegand in beeindruckenden Bildern.
Einen traurigen Rekord hat die kanadische Holzwirtschaft schon erreicht. Neben der chinesischen Mauer und den gerodeten Waldflächen am Amazonas sind die kahlgeschorenen Flächen an der Westküste die dritte Spur menschlichen Tuns, die Astronauten vom Raumschiff aus mit bloßem Auge erkennen können. Christof Boy
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen