Vorhaltungen von SPD-Chef: Grüne sauer auf Gabriel
Die Grünen kontern die heftigen Vorwürfe des SPD-Chefs. Gabriel wolle von der Zerstrittenheit in den eigenen Reihen ablenken und verschlafe den Umbau der Industrie.
Meinungsumfragen mögen SPD und Grünen gemeinsam eine absolute Mehrheit bescheinigen. Doch die angeblichen Traumpartner der deutschen Politik zeigen sich zerstritten. Zunächst bezichtigte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die Grünen im taz-Interview, diese wollten "regieren - egal mit wem" und fühlten sich nur zuständig für "vermeintliche Wohlfühlthemen". Nun kontern die Grünen. Sie bezeichnen Gabriels Angriffe als gezieltes Ablenkungsmanöver. Die SPD habe Angst, sich zu erneuern, und die Bedeutung des Klimawandels nicht verstanden.
Der Grünen-Kovorsitzende Cem Özdemir sagte der taz: "Sigmar Gabriel hat genug damit zu tun, das sozialdemokratische Schiff auf Kurs zu bringen, bevor er anderen die Richtung weisen kann." Die guten Umfragewerte der Grünen machten den SPD-Chef "vielleicht nervös".
Gabriel hatte den Grünen vorgeworfen, einen gleich großen Abstand zu SPD und CDU zu wahren. Dabei blieben in schwarz-grünen Bündnissen sozial- und gesellschaftspolitische Neuerungen liegen. Diese seien nur in Koalitionen mit der SPD möglich. Özdemir kontert, der SPD-Vorsitzende habe da "offenbar etwas falsch verstanden": "Die SPD steht uns inhaltlich näher als die CDU, nehmen wir etwa die Bildungspolitik." Aber es werde "auch weiterhin keinen Automatismus geben. Schließlich steht dieselbe SPD auch für die Abwrackprämie ohne jede ökologische Lenkungswirkung, für Kohlekraftwerke, in Baden-Württemberg für das Milliardengrab Stuttgart 21, und nun streitet die Partei über die Rente mit 67."
Überrascht zeigen sich viele Grüne, dass der ehemalige Bundesumweltminister urteilte: Wenn die Grünen Partner der SPD "auf Augenhöhe" sein wollten, dann dürften diese "nicht mehr nur für die vermeintlichen Wohlfühlthemen" wie Umwelt- und Klimaschutz zuständig sein. Auch "die harten Aufgaben solider Finanzen, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Arbeit" müssten sie übernehmen können.
"Vielleicht hat Sigmar Gabriel an der Ostsee zu lange in der Sonne gelegen", sagt der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler der taz. "Der Klimawandel ist die zentrale soziale und ökonomische Frage des 21. Jahrhunderts. Auch bei Sozial- und Finanzfragen stehen wir gut da: mit Maßnahmen zur Regulierungen des Kapitalmarktes, Mindestlohn, Bürgerversicherung und höheren Hartz-IV-Sätzen."
Auch die Grünen-Expertin für Verbraucherschutz, Nicole Maisch, hält Gabriels Vorwürfe für verfehlt: "Die Ökosteuer war nie ein ,Wohlfühlthema'. Dafür hat Jürgen Trittin Drohbriefe bekommen", sagt Maisch der taz. "Und Renate Künast hat sich als Verbraucherschutzministerin mit dem Bauernverband angelegt." Die "Äquidistanz", also einen gleichen Abstand der Grünen zu CDU und SPD, mag die Reala Maisch nicht erkennen. Sie sieht eine "generelle Nähe zur SPD", meint aber auch, es sei sinnvoll, "sich andere Optionen offen zu halten."
Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten Kai Gehring sagen Gabriels Angriffe mehr aus über den Zustand von dessen eigener Partei. "Sie zeigen nur die Nervosität der SPD, die - wie die CDU auch - den Charakter einer Volkspartei verliert", sagt Gehring der taz. Die SPD müsse sich entscheiden, "ob sie die jetzige Industriepolitik fortsetzen will". Gehring rät Gabriel, das Grünen-Konzept zum Industrieumbau, den Green New Deal, "mal durchzulesen".
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