■ Vorgespult: „Wo wir herkommen, das ist about alles“
„Wir flohen vor Hitler – Die anderen Sudetendeutschen“, 19.15 Uhr, Deutschlandfunk
St. Walburg/Kanada, 1939, nach der Vertreibung aus dem Paradies. Als Ludwig Löwit mit 150 sudetendeutschen Familien und 35 Singles in der kanadischen Wildnis ankommt, herrscht dort das Arche-Noah-Prinzip. „Die haben uns Bretter verschafft und zwei Kühe, alles zwei. Zwei Hühner, einen Hahn, zwei Schweine, zwei Eßbestecke, zwei Töpfe“, erinnert sich der 82jährige Mann mit der zittrigen Stimme, der manchmal die Spucke die Worte verwässert. Aber Löwit ist deutlich zu verstehen, während er davon erzählt, wie er und die anderen vor Hitler flohen.
Vor lauter Landsmannschaften, die bis in die vergangene Woche den Traum träumen durften, irgendwann ihre Heimat doch an Deutschland wiederanschließen zu können, ist das Schicksal der antifaschistischen Sudetendeutschen fast in Vergessenheit geraten. In Toronto ist Doris Liebermann der Geschichte dieser Menschen nachgegangen. 13.000 Tschechen leben heute in der Metropole, 60.000 in ganz Kanada. Es sind Kriegsflüchtlinge und ihre Kinder sowie Tschechen, die ihr Land nach dem „Prager Frühling“ verließen.
Löwit gehörte zu den 85.000 sudetendeutschen Sozialdemokraten, die in der Tschechoslowakei Widerstand gegen Hitler leisteten. Als gestern vor 60 Jahren deutsche Truppen in der Tschechoslowakei einfielen, wanderten 20.000 der sudetendeutschen Sozialdemokraten ins Gefängnis oder KZ. Die Flucht gelang nur 5.000. Auch Löwit, der 1939 mit einem von 12 Schiffen von England aus nach Kanada emigrierte. Dort erwarteten ihn minus 50 Grad und ein Verschlag: „In dem Haus, in der Hütte, sind die Mäuse nur so rumgesaust, wie verrückt.“
Man hört dem alten Mann und den im doppelten Sinn anderen Vertriebenen mit Spannung zu, weil sie etwas zu sagen haben über Emigration und gelebten Widerstand. Ludwig Löwit weiß aber genau: „Unsere Kinder denken nicht daran, die wissen vielleicht, wo wir herkommen, das ist about alles...“ Petra Welzel
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