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Vorfreude im WartezimmerSei schlau, mach blau!

■ Berliner bleiben bundesweit die Spitzenreiter im Krankfeiern

Am Montag gehört der Papi mir. Wenn nächste Woche Ferien beginnen, können sich die Kinder freuen: darauf, wieder etwas mehr Zeit mit ihren Eltern zu verbringen. Denn der erste Werktag der Woche – das ist nach guter alter Tradition der Tag, zum Arzt zu gehen. Blaumann oder blaumachen? Keine Frage – zumindest nicht für Berliner und Berlinerinnen! 24 freie Tage extra gönnen sich die Hauptstädter durchschnittlich jährlich. Bundesrekord, seit Jahren. Zum Vergleich: Die griesgrämigen Niedersachsen fehlen nur an 14 Tagen am Fließband oder Bildschirm.

Dabei sind die Berliner Beschäftigten das, was sich ihre Chefs immer von ihnen wünschen: kreativ und innovativ. Was sie alles an sich entdecken, um beim Arzt den begehrten Schein zu kriegen – hier ein Pickel am Po, dort ein Krätzchen im Kopf, hier ein Blubbern im Bauch – das ist schon ein preisverdächtiger Forscherdrang. Vom Einfallsreichtum der Berliner ganz zu schweigen: In den Behandlungszimmern brillieren die schauspielerischen Talente, die man an den Bühnen der Stadt vermisst!

Dass das auch im neuen Berlin – Gerhard Schröder hin, Andrea Fischer her – so bleiben dürfte, zeigt der Blick in die Vergangenheit. Viel Fieses wurde sich ausgedacht, um den Simulanten den Spaß an der eigenen Show zu vermiesen. Die Regierenden kürzten die Lohnfortzahlung; die Unternehmer setzten Detektive auf potenzielle Blaumacher an, führten so genannte Rückkehrgespräche ein. Das sind die beliebten Dialoge, bei denen der Chef ganz besorgt fragt, ob es schlimm war im Bett, um sich beiläufig die Bestätigung zu holen, dass die Stimmung bei Hertha BSC super war. Genützt hat es wenig: Die Berliner bleiben krank, wenn sie es sein wollen.

Aber sie sind doch wirklich krank, behaupten die ängstlichen Zeitgenossen von den Gewerkschaften. Sie fürchten um den Ruf der Berliner Belegschaften, die niemand als Blaumacher diffamieren dürfe. Begründung: Der Stress der Großstadt mache die Menschen krank, die vielen Überstunden wirkten sich schlecht aufs Wohlbefinden aus, und die permanente Angst um den Job mache auch nicht gerade glücklich und gesund. Richtig, aber andersherum wird ein Schuh daraus: Weil das so ist, ist jede freie Minute extra ein Gewinn.

Die Berliner wissen das. Deshalb nehmen sie unter vier Augen kein Blatt vor den Mund: Es gibt es nichts Schöneres, als das Leben, das eh hart genug ist, in weichen Federn zu verbringen. Sei schlau, mach blau! Solange du noch kannst. Richard Rother

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