Vorbeugehaft zum Wohle des Freistaats

■ Die Münchner Staatsregierung will per Polizeigesetz 14 Tage Präventivhaft / Von Wolfgang Gast

„Unterbindungsgewahrsam“ heißt es im Amtsbayerischen. „Unterbunden“ werden sollen „Straftaten und Ordnungswidrigkeiten“ - vor allem offenbar der Protest gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf. Und „Gewahrsam“ ist der Euphemismus für eine Polizeihaft, die nicht mehr, wie bisher, auf 48 Stunden beschränkt bleiben soll. Am kommenden Dienstag will das Münchner Innenministerium den Wortlaut für die Änderung des geltenden Polizeiaufgabengesetzes im Wortlaut vorstellen, die schon mit der bloßen Ankündigung am vergangenen Dienstag auf lauten Protest gestoßen ist.

Als der Bayerische Ministerrat nach seiner Sitzung am vergangenen Dienstag bekannt gab, das Polizeiaufgabengesetz werde geändert, waren die Oppositionsparteien, SPD wie Grünen, zunächst einmal konsterniert. Nicht einmal aus der Tagesordnung der Sitzung war mit einer solchen Beschlußfassung zu rechnen, und in München sind längst die parlamentarische Sommerferien eingekehrt.

In der folgenden Pressekonferenz wurde auf die Regierungsklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten Strauß vom Dezember 1986 verwiesen. Strauß habe schon damals einen Gesetzentwurf angekündigt um zu verhindern, „daß von der Polizei aufgegriffene Gewalttäter nach wenigen Stunden wieder entlassen werden müssen und ihre gefährlichen und rechtswidrigen Aktionen fortsetzten können“.

Der Entwurf sieht jetzt vor, daß die Entscheidung über die Fortdauer des „Unterbindungsgewahrsams“, der bisher auf 48 Stunden begrenzt ist, von einem Richter angeordnet werden kann und daß eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung beim Landgericht oder gegebenenfalls beim Bayerischen Obersten Landgericht, wie dort das Oberlandesgericht genannt wird, zulässig ist.

Die Initiative der Staatsregierung reiht sich nahtlos in frühere Bestrebungen des Freisstaates, das Versammlungsgesetz weiter zu verschärfen. Die 19 von der CSU in Bonn durchgesetzten Sicherheitsgesetze gingen der Staatskanzlei schon damals nicht weit genug. Immer wieder kam aus München die Forderung, den Gesetzestext zum Landfriedensbruch zu verschärfen und allein schon die Teilnahme an Veranstaltungen, bei denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte, unter Strafe zu stellen. Auch sollte die Wiederholungsgefahr beim Landfriedensbruch als Haftgrund eingeführt werden.

Mit der jetzt geplanten Änderung des Polizeigesetzes hätten die Ordnungskräfte in Bayern weitgehend die Möglichkeit, sich diese Wünsche zu erfüllen. WAA-GegnerInnen und eine Vielzahl von Juristen meinrn daher, daß das Vorgehen der Staaatsregierung vor allem ein Ziel hat: den Widerstand gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Gestern hat der „Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein“ bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes erhoben. Der Sprecher seiner Regionalgruppe Oberbayern-Schwaben, Hubert Heinhold, erklärte, die Pläne verstießen nicht nur „in eklatanter Weise gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sonder auch gegen die Grundrechte der Freiheit der Person und der Unschulds vermutung“.

Die vorgesehene richterliche Entscheidung über die Fortdauer eines Gewahrsams über 48 Stunden hinaus würde die rechtsstaatliche Bedenklichkeit verschleiern. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt betont, freiheitsentziehende Maßnahmen seien nur „als ultima ratio“ zulässig, wenn „überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten“. Schließlich sei auch eine Untersuchungshaft nur dann zulässig, wenn der staatliche „Strafanspruch“ nicht anders gesichert werden kann. Heinhold verweist auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950. Dort ist (Artikel 5, Absatz 3) festgelegt, daß die Haftfortdauer nach einer richterlichen Entscheidung nur dann zulässig ist, wenn ein konkreter Tatverdacht besteht. Nach der gegenwärtigen Rechtslage in der Bundesrepublik könne dies nur durch den Erlaß eines Untersuchungs -Haftbefehls geschehen.

Massive Kritik kommt auch vom Strafrechtsausschuß des Deutschen Anwaltsvereins. Vorsitzender Günter Bandisch: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß es irgendwelche Ordnungswidrigkeiten gibt, die einen Freiheitsentzug von zwei Wochen rechtfertigen würden.“ Dem Argument der Bayerischen Staatskanzlei, die auf eine unbefristete Regelung bei der Gewahrsamnahme unter anderem in Bremen verwiesen hat, hält er entgegen: „Fristen haben immer zwei Funktionen. Sie begrenzen und sie erwecken den Anschein, daß ein Bewegen innerhalb der Frist unbedenklich sei.“

Und Hans-Jürgen Ziemann, Abteilungsleiter für öffentliches Recht beim Bremer Justizsenat, stellt gestern auf Anfrage der taz fest, im Bremer Polizeigesetz gebe es zwar keine Frist, aber nie habe ein Polizeigewahrsam nach richterlicher Anhörung länger als 48 Stunden gedauert. Werde jedoch, wie in der geplanten bayerischen Regelung, der Polizeigewahrsam per Gesetz auf 14 Tage verlängert, dann habe das „Aufforderungscharakter“, diesen Zeitraum auch auszuschöpfen. Denn eine solche Frist unterstelle, daß 14 Tage auch sinnvoll seien.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft „Kritischer Polizisten und Polizistinnen“ nannte gestern den bayerischen Vorschlag einen „unerhörten Angriff auf unseren Rechtsstaat“. Nach Ansicht ihres Sprechers Manfred Mahr bedient sich die Staatsregierung „unbestimmter Rechtsbegriffe“. Staatlicher Willkür und der Disziplinierung der Bürger werde damit Tür und Tor geöffnet. Jeder bürgerliche Widerstand habe dann „die Aussicht auf zwei Wochen Urlaub im Knast“. Die Gesetzesänderung werde als „lex Wackersdorf“ in die Geschichte eingehen. Ähnlich Werner Holtfort, Ehrenvorsitzender des Republikanischen Anwaltvereins: „Die Grenze der Verhältnismäßigkeit wird überschritten, um den politischen Widerstand in Wackersdorf zu treffen“.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat Zweifel. Ihr stellvertretender Vorsitzender Horst-Udo Ahlers urteilte, Gesetze und Verfassung setzten für eine vorbeugende Inhaftierung sehr enge Grenzen. Die sei nur in sehr wenigen, konkret benannten Ausnahmefällen möglich. Eine Änderung der Rechtslage sei nur über eine Neufassung der Sicherheitsgesetze möglich.

In das gleiche Horn stößt der Braunschweiger Oberlandesgerichtspräsident Rudolf Wassermann in einem Interview mit dem Südwestfunk: „Eine Verfassung ist nun mal kein Fiaker, mit dem man hinfahren kann, wohin es einem paßt.“ Eine zweiwöchige Präventivhaft für Straftaten, von denen man lediglich befürchte, daß sie getan würden, seien ein sehr großer Spielraum. Die Polizei solle sich vielmehr auf ihre originären Aufgaben besinnen und „reisende Gewalttäter“ dingfest machen. Dazu schlug er vor, die Polizei solle an Ort und Stelle stichhaltige Beweismittel sichern und dann den Gerichten übergeben.

Als einer der ersten hatte sich der bayerische FDP-Chef Manfred Brunner gegen die Pläne gewandt. Für ihn ist der Entwurf „verfassungsrechtlich problematisch und rechtspolitisch unerträglich“. Er kündigte an, seine Partei werde notfalls vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht ziehen, falls die CSU an ihrem Vorhaben festhalten sollte.

Jetz hat auch sein Kollege im Bundestag Manfred Richter den Entwurf als „mit liberalem Rechtsverständnis nicht vereinbar“ bezeichnet. Der erneute innenpolitische Alleingang der bayerischen Staatsregierung dokumentiere ihren Mangel an Bereitschaft, im Interesse der Rechtssicherheit und zum Schutz der Bürger zu einer bundeseinheitlichen Regelung zu kommen. Die liberale Bundestagsabgeordnete Hamm-Brücher lehnte die geplante Regelung ebenso entschieden ab: „Das sind polizeistaatliche Methoden.“

Das Bundesjustizministerium unter FDP-Minister Engelhard dagegen äußert sich bislang sehr vorsichtig. Sprecher Hans Jürgen Schmid meldete vor der Bonner Presse zwar Bedenken an, hielt den Bayerischen Vorstoß aber für „nicht unbedingt verfassungswidrig“. Zwischen polizeilichen Eingriffen zur Gefahrenabwehr und dem im Grundgesetz verankerten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gelte es abzuwägen. Wenn allerdings das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt bleibe, könne ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegen.