Vor der Parlamentswahl in Russland: Wie Putin um Wähler wirbt
Moskau wirbt für Putin: Die Partei Einiges Russland und die Bewegung für Putin rufen zur Kundgebung. Es kommen die Jungen und jene, die alten Zeiten nachtrauern.
MOSKAU taz "Rechts die Junge Garde! Links stellen sich Naschi auf! Und zeigt auch die russische Trikolore der ganzen Welt!" Die Regieanweisungen sind klar. Die Jugendorganisation der Partei "Einiges Russland" sowie Naschi, die mobilen Einsatztrupps der Kremladministration, beziehen vor der riesigen Bühne Stellung. Aufregung herrscht im Luschniki-Sportpalast, die jungen Leute sind nicht recht bei der Sache. Auch auf der Bühne wird noch geprobt. "Ich liebe dieses Land", stimmt Larissa Dolina, die Grande Dame des russischen Jazz, an, der Backgroundchor stimmt ein. Nur noch wenige Minuten bis zum Großereignis.
Am 2. Dezember sind 105 Millionen RussInnen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Das Ergebnis freilich steht längst fest. Anfang Oktober hatte sich ein "dankbarer" Wladimir Putin bereit erklärt, sich als Spitzenkandidat der eigens für ihn gegründeten Partei "Einiges Russland" zur Wahl zu stellen.b Entgegen weit verbreiteten Erwartungen tritt der 55-Jährige nach acht Jahren als Präsident kein drittes Mal an, er wird die Position des Ministerpräsidenten übernehmen. Laut Umfragen wird die von ihm angeführte Wahlliste mindestens 60, möglicherweise 80 Prozent der Stimmen erhalten. Die Verfassung sieht keine dritte Amtsperiode für den russischen Präsidenten vor, und Putin gelobte mehrfach, sich an die Verfassung halten zu wollen. Jetzt wird spekuliert, ob er nach den Dumawahlen das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt und dessen Rolle durch die Duma aufwerten lässt. Moskau hat nur 70 von 400 OSZE-Beobachtern zugelassen. Daraufhin hat die OSZE ihr Kommen abgesagt. Die 56 Mitgliedstaaten hatten 1990 vereinbart, internationale Beobachter zu ihren Wahlen zu laden.
In Moskau marschieren die Bürger auf. Das Komitee "Sa Putina" - Für Putin - und die Kremlpartei Einiges Russland wollen an diesem Mittwoch mit nationalen Stars noch einmal die Wähler für den Urnengang am 2. Dezember mobilisieren. Das Putin-Komitee wird von drei Persönlichkeiten repräsentiert, die nicht der politische Führung angehören - das verleiht ihnen in Russland das Gütesiegel "zivilgesellschaftlich".
Seit Wladimir Putin als Spitzenkandidat der Kremlpartei im Rennen ist, ist die Wahl keine Wahl mehr. Die Lust der Bürger, teilzunehmen, sinkt. Nicht weil sie den Kremlherrn nicht schätzen würden, sondern weil das Rennen gelaufen ist: Kremlpartei und Kremlchef stehen als Sieger längst fest. Das Drehbuch der Königsmacher hatte eines bisher nicht bedacht: Mäßige Beteiligung könnte Putins Sieg etwas dürftig erscheinen lassen. So wurde die Wahl in ein Referendum umfunktioniert, in dem Russland den Präsidenten mit den Weihen eines "nationalen Führers" ausstattet.
Was das für das Land bedeutet, weiß so recht keiner. Auf den roten Trikots der "Naschi" spielt Wladimir Putin als Nummer 1, als Torhüter der Nation. Er lächelt von Stickern und Postern , wohin man auch schaut - Putin. Selbst auf der Wange einer Jungaktivistin ist das rote Wahlkästchen schon angekreuzt. Absoluter Höhepunkt des Tages soll schließlich die Verleihung des Parteiausweises sein - bislang ist der Spitzenkandidat parteilos.
Noch einmal stimmt eine Band zur Probe die Hymne der Veranstaltung an. "Ich, du, er, sie - wir zusammen das ganze Land". Es ist ein Remake der olympischen Hymne der Moskauer Spiele von 1980. Damals blieb der Westen aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan den Spielen fern. 2007 bleiben die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit weg, weil die wenigen, die überhaupt einreisen dürfen, ihre Visa erst in letzter Minute erhalten hätten. Konfrontation, aber nicht von der alten Schärfe - der Rückgriff auf sowjetische Methoden und lieb gewordene Melodien hat System. Er stimmt die Älteren ein, die auf den Rängen des Stadions Platz genommen haben, es sind die Vertreter der Partei aus allen Regionen des Riesenreiches.
Abrupt bricht die Musik ab. Konstantin Ernst gibt letzte Anweisungen. Er ist der Intendant des staatlichen Fernsehens, ein flexibler Manager, der jedem Herren dient, ein begnadeter Regisseur, der Realität in Fiktion verwandeln kann und umgekehrt. Die Fahnen müssen aus der Bildmitte verschwinden, ordnet er an. Dann braust die Musik durch das Luschniki-Stadion.
Viele Jugendliche hier glauben an den Patriotismus, mit dem der Kreml das Land hinter sich zu sammeln versucht. Wiktoria zum Beispiel kommt aus dem Moskauer Umland, sie studiert in der Hauptstadt Psychologie und Verwaltung. "Ich denke politisch und muss in meinem späteren Job organisieren können", erklärt die 18-Jährige ihre Motivlage. Seit einem halben Jahr gehört sie der Jungen Garde an, der VR-Jugendorganisation. Sie ist zusammen mit ihren Freundinnen eingetreten. Arbeit und Freizeit lassen sich hier miteinander verbinden, so wie damals bei den Pionieren und Komsomolzen der Kommunistischen Partei.
Vorn heizt der Moderator der Menge mit "Rossija! Rossija!"-Rufen ein. Die Claqueure direkt vor der Bühne übernehmen und erweitern das Repertoire um die Losung "Rossija, Putin! Rossija, Putin!". Wiktoria Kubrikowa ist begeistert von ihrem bisherigen Präsidenten. "Er gibt uns Stabilität und Zukunft", sagt sie. Auch als Mann findet sie ihn ansprechend und attraktiv. "Putin ist einfach anständig", sagt sie und stimmt lachend mit ihren Freundinnen den Hit "Ich möchte so einen wie Putin" an. Sie sind jung, und sie wollen, dass Russland in der Liga der Weltmächte spielt, dass ihrer Heimat Respekt erwiesen wird.
Nach dem Gespräch mit dem Reporter kommt ihre Gruppenleiterin auf sie zu und bedankt sich für die "Superantworten". In der staatlich organisierten Zivilgesellschaft bleibt nichts dem Zufall überlassen. Auf der Website der Zeitschrift New Times kursierte vor dem Jubelfest eine interne Anweisung der Veranstalter mit genauen Verhaltensvorschriften. "Ein bis zwei Leute aus jeder Delegation", stand da, "müssen die Aufmerksamkeit der Gäste und Kameras auf sich ziehen." Am besten sei dies durch Engelsflügel und Gesichtsbemalung zu erreichen. Die Jugendlichen haben sich tatsächlich Mühe gegeben. Die zarten, hauchdünnen Schmetterlingsflügel eines Mädchens aus der Provinz sind bezaubernd, sie passen nur nicht in die Jahreszeit. An die Gruppenleiter erging die Aufforderung, für ideologische Standfestigkeit zu sorgen. Der "Plan Putin", dessen konkreter Inhalt niemandem im Land so recht klar ist - selbst der Partei nicht -, und die "Wahlen des nationalen Führers" sollten vor der Anreise noch einmal durchgearbeitet werden. Letzte inhaltliche Zweifel konnten über eine Hotline noch beim "Föderalen Ideologen" geklärt werden. "FÜR FEHLER STEHEN DIE GRUPPENLEITER PERSÖNLICH GERADE!" steht in Großbuchstaben in dem Papier. Außerdem sei darauf zu achten, dass die Teilnehmer nicht hungrig aus den Reisebussen steigen und sich dann hemmungslos über die Buffets hermachen. An alles ist gedacht.
Beim Auftritt von Parteichef Boris Gryslow und Wladimir Putin sei es ganz wichtig, stürmisch zu reagieren und nicht zu vergessen, auch die Fahnen zu schwenken: "Seine Überlegenheit muss man ständig beweisen." Großes Vertrauen setzt die politische Führung wohl nicht in die eigenen Anhänger.
"Wir glauben an Russland, wir glauben an uns selbst", schallt es unterdessen von der Bühne. Brav wiederholen die Chöre die Devise. Es hat den Anschein, als hülfe die Tonregie mit der Lautstärke ein bisschen nach - aber wer wollte das beweisen. Die Losung ist nicht die Lösung der russischen Probleme, sie beschreibt den Denkfehler, den Russlands Führung immer aufs Neue begeht: dass die Wähler nur Teil eines größeren Ganzen sind, dass sie ihrem Land nur helfen können, wenn sie sich einer Führung unterwerfen. Auch den jungen Enthusiasten wird das eingeimpft, wenn auch moderater.
Sympathische junge Leute wie Michail Makurin werden das in einigen Jahren am eigenen Leib erfahren. Der 23-jährige Ökonom macht bei der Hochschulinitiative Kader für die Modernisierung des Landes (KMS) mit. Er glaubt an den Willen der Politiker, die Wissenschaften zu stärken und zu reformieren. Mit Politik habe der KMS nichts zu tun, meint er und schaut aufgeregt Richtung Bühne.
Der große Augenblick ist da. Die Spots gehen an, die Lichtgestalt erscheint, der leibhaftige Wladimir Wladimirowitsch Putin. Behende springt er das Treppchen zum Rednerpult hinauf. Das Publikum applaudiert, trommelt und heißt ihn gebührend willkommen. Alles läuft nach Plan.
Der Kremlchef kommt gleich zur Sache. Er zählt nur kurz seine wirtschaftlichen Erfolge auf und geht dann zum Angriff auf seine politischen Gegner über. Er nennt sie nicht beim Namen, denn Phantome haben keinen. Putin greift tief in die Kiste der Verschwörungstheorien, warnt vor der Rache der Oligarchen, die bis in die Neunzigerjahre im Kreml saßen: "Wenn diese Herrschaften wieder an die Macht kommen, werden sie das Volk betrügen und sich die Taschen vollstopfen", droht er. Dann warnt er vor Fremdkörpern, "die vor ausländischen Botschaften herumlungern". Die bauten auf Unterstützung fremder Regierungen statt auf die der eigenen.
Vor der Bühne halten sich die Protagonisten ans Drehbuch, sie quittieren jede Attacke mit frenetischem Applaus. Weiter hinten indes lässt die Aufmerksamkeit schon wieder nach, die Jugendlichen schwatzen. Auf der Tribüne, wo die Parteimitglieder sitzen, werden Putins Einlassungen gelassen zur Kenntnis genommen. Im Block aus Swerdlowsk schwenken Parteifreunde müde und mechanisch Wink-Elemente. Auch die Delegation aus dem Moskauer Umland zeigt wenig Engagement. Es ist wie zu Zeiten des seligen KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnew, dem viele hier nachtrauern: Die Führung tut so, als würde sie regieren, das Volk, als würde es zuhören.
"Geht zur Wahl und stimmt für Einiges Russland - ich baue auf euch", ruft Putin nach einer Viertelstunde seinen Anhängern zu. Dann verschwindet er. Ohne Parteiausweis. Er bleibt parteilos, die Partei aber nicht führerlos. Er wird das Einige Russland zum Erfolg führen. Am Sonntag kommender Woche werden seine Wähler zeigen, dass sie ihn verstanden haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm