Vor der Landtagswahl: Hessen ist unregierbar
Kurz vor der Hessenwahl ist Ministerpräsident Koch angeschlagen, eine bürgerliche Koalition hätte keine Mehrheit. Auch Rot-Grün könnte nicht regieren und die Linke will nicht.
FRANKFURT/MAIN taz Das gab es in den fast neun Regierungsjahren des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch noch nie zu bestaunen: Einen in den Seilen hängenden Mann nämlich, ohne Esprit und ohne Leidenschaft für die eigene Sache beim Vortrag. Einen fahlen Roland Koch im mausgrauen Jackett. Einen Roland Koch mit flehentlichem Blick nach oben und vielleicht einem stillen Gebet: Herrgott, bitte hilf! Und das ausgerechnet in so einem Moment, 48 Tage vor der Landtagswahl, als er in seiner Staatskanzlei steht und die "Erfolgsbilanz" seiner Regierungsjahre feiern soll.
Dem Unionspolitiker Koch, der ein paar Wochen nach der Hessenwahl am 27. Januar 50 Jahre alt wird, muss die jüngste Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, die den Trend der voran gegangenen zwei Erhebungen anderer Institute bestätigte, ängstigen: Verluste von fast zehn Prozent der Wählerstimmen für die Union. Und Zugewinne für die SPD von bis zu fünf Prozent. Für die CDU wurden noch magere 40 Prozent ermittelt. Und nur noch sieben Prozent für die zur Bildung einer bürgerlichen Koalition nötige FDP.
Das reicht nicht mehr für ein Regierungsbündnis. Denn der SPD werden 34 Prozent, den Grünen neun Prozent und der Linkspartei sechs Prozent prophezeit. Macht zusammen 49 Prozent. Damit hätte die von Koch so gefürchtete rot-rot-grüne "Volksfront" die Mehrheit der Landtagssitze erobert. Rein rechnerisch jedenfalls.
Doch für SPD und Grüne kommt eine Koalition mit der Linkspartei nicht in Frage. Und auch die Linke selbst winkt ab. Man wolle nach einem Einzug in den Landtag lieber mit den außerparlamentarischen Bewegungen zusammenarbeiten, hieß es. Nach einer weiteren Umfrage des Instituts Forsa zur Hessenwahl turnt die Linke ohnehin wieder auf der Fünfprozenthürde herum - mit der Absturzoption hinein in die geliebte außerparlamentarische Opposition. Roland Koch könnte dann aufatmen. Ohne die Linke im Landtag wäre die bürgerliche Koalition aus CDU und FDP wahrscheinlich. In der Forsa-Umfrage kommt die SPD nur noch auf 30 Prozent; dafür legen die Grünen auf 11 Prozent zu.
Eine Entwarnung für Koch ist das aber noch keinesfalls. Denn der Union selbst prophezeit auch Forsa nur 41 Prozent - ein Minus von acht Prozent im Vergleich mit der Wahl 2003. Vor allem in der Schul- und Familienpolitik werden Koch und seiner Kultusministerin Karin Wolff vom Wahlvolk mangelhafte bis ungenügende Leistungen attestiert. Auch die bei Forsa für die FDP ausgewiesenen neun Prozent sind keine Bank. Grüne und Sozialdemokraten sind daher weiter davon überzeugt, den Regierungswechsel in Hessen auch ohne die Linke schaffen zu können.
Bei den Sympathiewerten der Forschungsgruppe Wahlen hat die Spitzenkandidatin der SPD, Andrea Ypsilanti, ihren konservativen Kontrahenten jedenfalls schon einmal abgehängt. Dabei war seine noch vor einem Jahr relativ unbekannte Herausforderin erst vor kurzem an die Spitze von Partei und Fraktion der hessischen SPD gelangt. Und Koch ist seit neun Jahren Ministerpräsident und Parteichef, der Platzhirsch eben.
Und jetzt zum Abschuss freigegeben? Dass sich Koch in einer möglichen großen Koalition mit Andrea Ypsilanti als Stellvertreterin wieder zum Ministerpräsidenten wählen lässt, ist auszuschließen. Da wird er lieber wieder Rechtsanwalt in Eschborn und widmet sich seinem Hobby, dem Sammeln alter Rotweine. Auch für "Jamaika" steht Koch nach bisherigen Aussagen nicht zur Verfügung, die Grünen und die FDP übrigens auch nicht. Auch Schwarz-Grün mit Koch an der Spitze haben die Grünen jetzt schon ausgeschlossen.
Koch wird also noch einmal kämpfen müssen, um Ministerpräsident bleiben zu können. Denn als Verlierer in Hessen wird er auch in Berlin nichts mehr werden können. Ambitionen auf einen Job im Umfeld der Europäischen Kommission lässt er stets dementieren. Abschreiben dürfen SPD und Grüne Koch jedenfalls noch lange nicht. Nach dem Jahreswechsel wird er alle Register ziehen. Von seiner erfolgreichen Integrationspolitik "auf der Basis unserer deutschen Grundwerte" hat er schon einmal auf seiner Bilanzpressekonferenz gesprochen. Und von der Vorreiterrolle Hessens bei der Inneren Sicherheit. Es klang wie eine Drohung.
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