piwik no script img

■ Vor den zweiten freien Wahlen in Südafrika: Die zentrale Frage für die Zukunft ist die nach der Demokratiefähigkeit des ANCDie Versuchung der Macht

Südafrikas zweiten demokratischen Wahlen fehlt der Glanz der ersten vor fünf Jahren, und ihr Ausgang steht fest. Der ehemaligen Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) ist ein erneuter haushoher Sieg gewiß, sie wird das Land vermutlich auf Jahrzehnte hinaus regieren. Das macht die Wahlen auf den ersten Blick nicht allzu interessant. Doch von ihrem genauen Ergebnis, der Kräfteverteilung zwischen der ohnehin schwachen Opposition und einer übermächtigen Regierungspartei wird viel abhängen. Zugleich geht noch einmal eine Ära zu Ende – und es beginnt eine neue, gänzlich unromantische Zeit. Nelson Mandela, von Schwarz und Weiß bewundert und verehrt, zieht sich in den Ruhestand zurück, der jüngere Thabo Mbeki wird sein Nachfolger.

Zwar ist dieser Wechsel seit Jahren vorbereitet, nicht immer mit ganz feinen Methoden. Doch er garantiert immerhin eine Stabilität, von der andere afrikanische Staaten nur träumen können und die im übrigen auch der Westen stets fordert. Schon seit dem letzten ANC-Parteitag Ende 1997, als Mbeki zu dessen Präsidenten gewählt wurde, wird das Kollektiv beschworen und behauptet, der personelle Wechsel an der Spitze bedeute für den ANC gar nichts.

Das aber stimmt nicht, und jeder weiß es: Mit dem Rückzug Nelson Mandelas ist die aufregende Übergangszeit vorbei, in der fast alles möglich war und eine gütige Vaterfigur stets zu Versöhnung aufrief. Jetzt kehrt politischer Alltag ein, und eine neue, weitaus pragmatischere Generation kommt an die Macht. Viel, sehr viel wird dabei von der Person Thabo Mbekis abhängen, über den auch in Südafrika immer noch erstaunlich wenig bekannt ist. Mit einer mehr als komfortablen Mehrheit ausgestattet, muß der ANC nun daran gehen, seine Versprechen von 1994 wahr zu machen: eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der schwarzen Mehrheit. Sonst könnte das jetzt schon vernehmliche laute Murren irgendwann bedrohlich werden.

Und dies, viele Weiße ahnen es, heißt auch Umverteilen. Zwar ist die Aufregung, daß es ihnen nun an den Kragen und mit Südafrika bergab gehen werde, oft ebenso hysterisch wie unehrlich. Denn noch immer halten viele Versöhnung und Demokratie für einen Freifahrschein zur Erhaltung von angenehmen Privilegien, die ihresgleichen auf der Welt suchen. Damit wird unter Mbeki, der mit großer Wahrscheinlichkeit auch 2004 wieder zum Präsidenten gewählt werden wird, Schluß sein.

Ganz unberechtigt sind die weißen Ängste nicht. Der ANC wird sich nicht nur daran messen lassen müssen, ob ihm die ökonomische und soziale Transformation gelingt, sondern auch, ob die demokratischen Institutionen, die in den vergangenen fünf Jahren geschaffen wurden, nicht nur unangetastet bleiben, sondern gefestigt werden. Auf die kann Südafrika stolz sein, zumal sie friedlich ausgehandelt wurden: eine höchst liberale Verfassung, Kommissionen zur Wahrung der Menschenrechte, zur Ahndung von Korruption und zur Aufdeckung von schweren Menschenrechtsverletzungen in der Vergangeneheit, einen Ombudsmann etc. In den derzeit schicken Untergangsgesängen ist oft schon vergessen, wo das Land herkommt und wo es heute auch sein könnte.

Südafrika hat die Grundlagen für eine Mehrparteiendemokratie gelegt, stabil ist sie allerdings noch lange nicht. Die schönen Prinzipien in der Verfassung sind oft weit weg vom Alltag der Menschen. Armut, Arbeitslosigkeit und untragbar hohe Kriminalitätsraten sind kein idealer Nährboden für Menschenrechte und Toleranz. Nicht nur in den weißen Vororten, auch in den Slums wird der Ruf nach einem starken Mann laut, der jetzt einmal aufräumt mit all den Mißständen und rechtsfreien Räumen des Übergangs.

Ob Südafrika demokratisch bleibt, wird entscheidend davon abhängen, ob und mit welchen Mitteln der ANC diese Probleme lösen wird. Noch ist das Verhältnis zwischen Befreiungsbewegung und Regierungspartei nicht ausgegoren, intellektuelles und fachliches Potential aber gibt es genug, um die Miseren anderer afrikanischer Staaten zu vermeiden.

Schon seit 1994 hat die Partei eine Mehrheit, mit der sie jedes Gesetz mühelos durchbringt. Warum also der Ruf nach einer Zweidrittelmehrheit? Die Tendenz zur Machtkonzentration und die gleichzeitige Empfindlichkeit gegenüber Kritik sind besorgniserregend. Wer den ANC öffentlich kritisiert, macht sich schnell als Rassist verdächtig. Wer es als Schwarzer tut, ist, schlimmer noch, ein Verräter der gemeinsamen Sache.

Das neue Zentrum der Macht aber schottet sich ab. Mbeki umgibt sich mit loyalen Beratern, von denen nicht viel Kritik zu erwarten sein wird. Nur noch eine Handvoll ausgewählter Journalisten darf an ihn heran, die ausländische Presse indessen, die zu Zeiten des Kampfes so nützlich war, bleibt außen vor. Zugleich wird schon seit Monaten der staatliche Rundfunk SABC systematisch zum Regierungssprachrohr umgebaut, und hausinterne Kritiker, oft die besten Journalisten, werden entlassen.

Zielstrebig werden auch wichtige Ämter umbesetzt: Der neue Zentralbankchef, der Generalstaatsanwalt, der Armeechef, sie alle sind treue Parteimitglieder und selbstverständlich Schwarze. Geht es um Personalpolitik, muß sich der ANC nicht zu Unrecht vorwerfen lassen, häufig umgekehrten Rassismus zu betreiben.

Längst schon maulen etwa die angeblichen Wächter der Demokratie hinter vorgehaltener Hand, daß im derzeitigen Kabinett zu viele Inder sitzen. Früher einmal verstand sich der ANC als Dach für Menschen jeder Herkunft und Hautfarbe. Heute aber, nach der Befreiung, wird die Fraktion, die ihn zu einer rein „afrikanischen“ (sprich schwarzen) Organisation machen will, immer stärker.

Überhaupt, „Afrikanisierung“: Wird damit wirklich nur historisches Unrecht wiedergutgemacht und etwas nachgeholt, was die weißen Herren auf keinen Fall wollten – in Afrika zu sein? Mbeki spricht gar von einer „afrikanischen Renaissance“ für den gesamten Kontinent. Was damit gemeint ist, bleibt auch in seinem Buch „Africa – the time has come“ vage. Ist es die kulturelle, politische oder ökonomische zweite und „wahre Geburt“ des Kontinents? Ein paar Eckpfeiler immerhin werden benannt: stabile und verläßliche Regierungen, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, freie Marktwirtschaft. Doch was ist ein Afrikaner? Darf er auch Weißer oder Inder sein? Gerade in Südafrika mit seinen großen Minderheiten wird die Definition dessen zentral für Stabilität und die nationale Identität sein. Es ist noch ein weiter Weg zur Regenbogennation, von der Nelson Mandela und Desmond Tutu geträumt haben. Mbeki selbst ist weit weniger romatisch. Er spricht von zwei Nationen: einer weißen reichen und einer armen schwarzen.

Schwer tut sich der ANC auch nach wie vor mit Föderalismus. Schon jetzt regiert er sieben der neun Provinzen, und nach den Wahlen könnten es sogar alle sein. Aufmüpfige Provinzfürsten aber wurden in den vergangenen Jahren gnadenlos aus der Parteizentrale abgesägt. Damit sich das gar nicht erst wiederholen kann, werden die Kandidaten für die Ministerpräsidentenämter nun zentral vom Parteivorstand ernannt.

Obwohl die satte ANC-Mehrheit vermutlich auf Jahrzehnte hinaus vollkommen ungefährdet ist, gelüstet es viele nach mehr. Selbst Nelson Mandela wirbt im Wahlkampf unablässig für eine Zweidrittelmehrheit, die 1994 nur knapp verfehlt wurde. An der neuesten Sprachregelung, daß die Verfassung keineswegs geändert werden solle, sind zumindest Zweifel angebracht.

In Krisenzeiten wäre die Versuchung wohl allzu groß. Dahinter steht aber auch ein weiteres Element der „Afrikanisierung“: die andernorts in Afrika und vom Exil-ANC seit Jahrzehnten diskutierte Wunschvorstellung der „nationalen Einheit“. Oppositionsparteien nach europäischem Vorbild spielen dabei meist keine Rolle, werden im Gegenteil als hinderlich angesehen. Von „weißen Mikkey-Maus-Parteien“ spricht Mandela selbst.

Davon ausgenommen ist lediglich die einzig nennenswerte schwarze Oppositionspartei, die Inkatha-Freiheitspartei (IFP). Mit Sicherheit wird sie wieder in der Regierung sitzen, und es gab schon Rufe danach, die früheren Todfeinde zu einer Partei zu verschmelzen. Das mag zwar vorerst dem inneren Frieden im Krisenherd KwaZulu/Natal zuträglich sein – ein künftiger Vizepräsident Mangosuthu Buthelezi aber läßt einen erneut über die Grenzen blicken. Kordula Doerfler

In Südafrika geht eine Ära zu Ende – es beginnt eine gänzlich unromantische Zeit

Jetzt kommt eine neue, weitaus pragmatischere Generation an die Macht

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen