■ Vor dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen im März: Ja ja, die Welt ist schlecht
Die Gipfelstürmer sind wieder unterwegs. Ein wahres Gebirge muß da bewältigt werden, vom Umweltgipfel (Rio 1992) und dem Menschenrechtsgipfel (Wien 1993) über den Bevölkerungsgipfel (Kairo 1994) – von G-7-, EU- und IWF-Weltbank-Gipfeln ganz zu schweigen – jetzt zum Kopenhagener Sozialgipfel der UNO. Worum es diesmal geht? Ungefähr um alles. Ausgangspunkt aller Dokumente ist die Feststellung, daß die Welt schlecht und voller Probleme ist: Armut und Hunger, Drogen und Terrorismus, Arbeitslosigkeit und Krankheit, Diskriminierung und mangelnde Bildungschancen, Umweltzerstörung und Krieg. Unbestritten auch die Erkenntnis, daß die Welt immer vernetzter ist und die globalen Probleme nach einer globalen Lösung schreien.
Doch während sich die Wirtschaft längst international organisiert hat, verharrt die Politik in ihren nationalstaatlichen Egoismen. „Der Nationalstaat ist zu klein für die großen Dinge, aber zu groß für die kleinen Dinge“, stellt der UN-Entwicklungsbericht richtig fest. Daran wird jeder global-pauschale Ansatz zur Lösung sozialer Probleme kranken; daran wird jeder Mammutgipfel scheitern. Exemplarisch die Position der Bundesregierung: Jeder soll bei sich selbst erst mal die Probleme angehen. Wozu dann aber ein internationaler Gipfel? Damit die Bonner den Regierungen in Maputo und Phnom Penh gute Ratschläge geben können?
Die Erklärung, die in Kopenhagen verabschiedet werden soll, ist bereits entworfen. Ein Aktionsplan, an dessen Verwässerung noch letzte Hand angelegt wird, vermeidet jegliche Festsetzung von überprüfbaren Maßnahmen. Ohne Schuldenerlaß für die ärmsten Länder etwa ist keine soziale Entwicklung möglich – aber ein von den Entwicklungsländern vorgelegter Zeitplan für einen Schuldenerlaß war den reichen Länder viel zu konkret. Irgendwie soll die Armut bekämpft werden, irgendwie sollen Frauen weniger diskriminiert werden, und irgendwie soll wirtschaftliche Entwicklung die Umweltbelange nicht außer acht lassen. Sogar die regierungsunabhängigen sozial- und entwicklungspolitischen Gruppen wurden schon mit dem Vernebelungsvirus infiziert und fordern radikal ein „offensives Nachdenken“.
Wenn in Kopenhagen Tausende von Reichen sich am opulenten Büffet über die Probleme der Armen unterhalten werden, tröstet sich sicher so mancher kritische Gipfeltourist damit, daß zumindest dadurch das Problembewußtsein weltweit geschärft wird. Aber mal ehrlich, wie viele Zeitgenossen sind so verroht, daß ihnen Armut und soziale Krisen auf der Welt noch nicht aufgefallen sind? Nicola Liebert
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