■ SPD-Kurskorrektur in Sachen Blauhelme: Vor dem Streit
Um Deutschland wird es einsam. Falls es nicht bald gelingt, alle verfassungsrechtlichen und politischen Hemmnisse, die einer deutschen Beteiligung an militärischen Einsätzen im Wege stehen, zu beseitigen, droht die internationale Isolation. Diese Gefahr ist, seit Rühe und Kinkel amtieren, längst öffentlich. Von einem bislang noch kaum berücksichtigten Unterfall dieser Drohung hat uns jetzt der außenpolitische Sprecher der SPD, Karsten Voigt, in Kenntnis gesetzt: Nur mit der fälligen Kurskorrektur in Sachen UNO- Einsätze könne die SPD ihrer Isolation „in der internationalen Sozialdemokratie“ vorbeugen. Genial – offensichtlich will die zur Kurskorrektur entschlossene SPD-Spitze ihre Basis mit dem gleichen bornierten Argument überzeugen wie die Bundesregierung ihr nicht gerade kampfgestimmtes Volk.
Ein denkbar schlechter Beitrag in einer (SPD-)Debatte, die schon deshalb nicht im Sommerloch verschwinden wird, weil die Union drängt und auch die SPD-Führung – wie zaghaft auch immer – Korrekturbereitschaft signalisiert. Etwas anderes bleibt ihr auch kaum. Denn anders als bei der Asylrechtsänderung hält die SPD in der Frage der militärischen Einsätze nicht die verfassungsrechtlich unstrittige Schlüsselposition, derzufolge eine Änderung nur mit der SPD zu machen wäre. Was das Grundgesetz an militärischen Optionen birgt, ist umstritten, und die bisherigen Entscheidungen des Verfassungsgerichtes lassen kaum den Schluß zu, die Obersten Richter würden sich am Ende der bisherigen SPD-Auffassung anschließen, jede Form von Out-of-area-Einsätzen bedürfe einer vorherigen Grundgesetzänderung und damit der neuerlichen umfassenden Einbeziehung der SPD.
Deshalb, nicht wegen wie immer gearteter Isolationsdrohungen, wird die SPD-Führung am Ende verhandeln müssen, und zwar, wie im Asylstreit, mit zwei Seiten: mit der Koalition – und mit der eigenen Partei. Schon diese prekäre Parallele müßte die SPD-Oberen – bei Drohung eines neuerlichen Desasters – zu transparentem Entscheidungsprozeß, präzisem Vorschlag und entschiedener Argumentation gegenüber der Koalition verpflichten. Nichts davon ist bislang zu erkennen. Statt einer offenen Debatte machen Scharping, Verheugen und andere ihre Andeutungen, denen man neben diffusem Willen vor allem die Furcht vor neuem parteiinternen Streit anmerkt.
So wird man ihn kriegen: Noch ist die neue Position nicht öffentlich, da überrascht Karsten Voigt mit der Nachricht, man habe sich in der SPD-Führung bereits vor der Sommerpause geeinigt. Die Petersberg-verwöhnte Partei wird es danken. Mit Gerhard Schröder hat sich bereits ein innerparteilicher Oppositionsführer angeboten, der nichts mehr zu verlieren hat. Wieder sieht alles danach aus, als wolle sich die SPD bei der internen Debatte so verausgaben, daß für die eigentlichen politischen Verhandlungen mit der Union nichts mehr bleibt.
Wie beim Asyl hat die Republik in der Auseinandersetzung um eine neue, militärisch flankierte Außenpolitik viel zu verlieren, zu viel, als daß sich die SPD in dieser Frage einen neuerlichen, ruinösen und am Ende erfolglosen Streit leisten könnte. Zwischen der Beschränkung auf Blauhelmeinsätze, wie sie die bisherige Beschlußlage vorsieht, und den außenpolitischen Vorstellungen, die die Union durchsetzen möchte, liegen Welten. Wer auf die absehbare Veränderung einer ohnehin nicht durchsetzbaren SPD-Position wartet, nur um sie dann als „Umfall“ zu brandmarken, vergibt von vornherein jeglichen Verhandlungsspielraum. Noch könnte es darum gehen, deutsche Beteiligung an Alleingängen von Nato und WEU zu verhindern und alle Einsätze unter UNO- Kommando an eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages zu binden. Wer in und außerhalb der SPD behauptet, auch solcherart Restriktion ändere nichts an der damit einhergehenden, grundlegenden Veränderung des außenpolitischen Engagements der Bundesrepublik, hat zweifellos recht. Dennoch wäre eine Andeutung willkommen, wie sich anders als im politischen Kompromiß die extensiven Vorstellungen der Bundesregierung noch verhindern ließen.
Daß die neue Bundesrepublik auf Jahre hinweg mit ihren inneren Problemen so beschäftigt sein wird, daß außenpolitische Abenteuer sich von selbst verbieten, klingt plausibel. Doch derzeit sieht es so aus, als betreibe die SPD sowohl mit der gutmeinenden Defensive wie mit den dilettantisch eingeleiteten Korrekturversuchen das Geschäft der Abenteurer. – Unwillentlich, doch das wird als Entschuldigung kaum reichen. Matthias Geis
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